Etymologie

Feme

Feme f. „mittelalterliches Sondergericht, das besonders schwere Straftaten aburteilt; Freigericht“ und „geheime gerichtsähnliche Versammlung, die über die Ermordung von politischen Gegnern und Verrätern in den eigenen Reihen entscheidet“ ist in mhd. (< mndd.) vēme st.f. (auch: fēme, veime, vēm, veeme, vehme, veime, veyme, feym (Schiller-Lübben s.v. veme 1) „Ächtung, Verurteilung, Strafe; Land­frie­dens­gericht, Freigericht; Landfriede, Landfriedensbündnis“, mhd. (obd.) feim, faim „Strafe; Gericht“, mndl. vēme, veem bezeugt. Die Einrichtung der Femegerichte geht vom westfälischen Gebiet, in dem niederdeutsch gesprochen wur­de, aus (DRW, Fricke 2011). Das Wort wird in der Literatur des 18. Jh.s aus dem Niederdeutschen über­nommen und die ober­deutsche Entsprechung feim, faim verschwindet. Von veme sind zwei schwache Verben mhd. vemen und vervemen nhd. verfemen „verurteilen, äch­ten“ sowie ein Nomen agentis vemer m. „Henker, Scharfrichter“ abgeleitet. Die Denota­tions­breite von mndd. vēme reicht von „Landfriede, Landfriedensbündnis“ über „Land­­­frie­dens­gericht“ als Institution, die sich mit der Feme (dem Land­frieden) be­schäf­tigt, zu „Ächtung, Verurteilung, Strafe“ als Ergebnis dieser Institution. Die ur­sprüngliche Bedeutung von mndd. vēme ist wohl „Landfriede; Land­frie­dens­­bund; Land­friedens­gericht“; dies zeigen die folgenden mittelniederdeutschen Kol­lokationen:
vēmebrēf m. „Landfriedensurkunde, Bundbrief zur Sicherung des Land­friedens“; ­me­dinc n. „territoriales Gericht zur Sicherung des Landfriedens, west­­fälisches Frei­gericht; städtisches Femegericht“; vēmeē(i)t m. „Eid, den der Schöf­fe des Feme­gerichts zu leisten hat“; vēmegrēve m. „Vorsitzender oder Richter des städti­schen Fe­me­gerichts“; vēmehēre m. „am Landfrieden beteiligter Herr, Schüt­zer des Land­frie­dens“; vēme(n)recht , vēmesrecht n. „Landfriedensrecht“; vēmwrȫge, vēm­wrȫgelīk, vēm­wrȫgich Adj. „vor das Landfriedensgericht, vor das Freigericht ge­hörend“ mit mndd. wrȫge, wrȫgelīk, wrȫgich Adj. alle „strafbar, anzeigbar, rügbar“.
Mndd. vēme, mhd. feim, faim und mndl. vēme, veem weisen auf eine urgermanische Form *faimō f., die ein uridg. Transponat *poh1i-meh2- zu der uridg. Wurzel *peh1- „tadeln, schmä­hen, beschimpfen“ fortsetzen kann. Diese Wurzel ist z.B. in got. 3. Pl. Pass. faianda „sie wurden geschmäht“ und aind. payi- (3. Sg. Prs. Akt. pyati) „schmähen, höhnen, tadeln, beschimpfen“ sowie got. fijan „hassen“ bezeugt.

Literatur:
Deutsches Rechtswörterbuch, online unter http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/.
Fricke, Eberhard 2012: Die westfälische Veme, Münster: Aschendorff Verlag.
Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
Rasmussen, Jens Elmegård 1989: Studien zur Morphophonemik der indogermanischen Grundsprache, Innsbruck (IBS)
Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Reichert.
Schiller, Karl/Lübben, August 1875–1881: Mittelniederdeutsches Wörterbuch. Band 1–6. Neudruck 1969, Wiesbaden: Sändig.
Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hg.) 2000: Duden – Das große Wörterbuch. Mannheim: Verlag Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG. CD-ROM auf der Basis der 3., völlig neu bearb. und erw. Auflage der Buchausgabe in 10 Bänden (1999).
 
Autorin: Sabine Ziegler