Etymologie

Gabel

Gabel f. „Gerät, das an einem Stiel zwei oder mehrere Zinken hat und mit dem man etwas (meist Essen) aufspießt oder aufhebt“ ist seit althochdeutscher Zeit be­legt: ahd. gabala, mhd. gabel(e), asächs. gaƀala, gaflia, mndd. gaffel(e), mndl. gaf­fel(e), gavel(e), ndl. gaffel, aengl. gafol, geafol alle „Gabel, Forke“ stammen aus west­german. *gablō- f. „Gabel, Forke“. Aus anderen Sprachen sind nur air. gabul o, m. und ā, f. „gegabelter Ast, Gabel, Krümmung, Oberschenkel“, kymr. gafl f. „Ast­gabel, Forke, Gabel, Haken; Oberschenkel“ und bret. gavl, gaol „dss.“ bezeugt. Diese Wörter lassen zusammen mit dem gallischen Ortsnamen (Ciuitas) Gabalum (Delamarre 2009: 147f.; daraus entlehnt ist lat. gabalus „Kreuz, gabelförmiger Galgen“) ein ur­kel­tisches Substantiv *gablo- m. oder *gablā- f. „Astgabel; Gabelung“ erschließen. Die frühen For­men einer Forke sind starke, gegabelte Äste, die man in der Landwirtschaft zum Aufnehmen von gemähtem Gras oder Getreide verwendete. Sie wurden später durch metallene Geräte er­setzt und noch im Althochdeutschen mit dem verdeut­lichenden Kom­­­­positum īsarngabala „Eisengabel“ bezeichnet. Die Bedeutungs­ein­engung des un­komponierten Wortes Gabel auf „Teil des Essbestecks“ ist erst in Folge der Über­nahme französischer Sitten und Essgewohnheiten in der frühen Neuzeit ein­ge­treten (Lellwitz 1992: 369f.). Ausgehend von der unrichtigen Übersetzung von air. gabul und kymr. gafl als „Schen­kelspreize, Schoß“ (nach DIL s.v. gabul bezeichnete das altirische Wort nur die Oberschenkel, nicht den Schoß. Der Eintrag in GPC s.v. gafl bietet wenige Belege für gafl, von denen keine die im Lemmakopf angege­bene Bedeutung „Schoß“ hat. Diese Bedeutungsentwicklung ist vom Mittelkymrischen zum Neu­kym­rischen eingetreten und nicht alt) ziehen EWD und EWA jeweils s.v. zum etymo‍logischen Ver­gleich das altindische Substantiv gabhá- m. mit nicht ganz klarer Bedeu­tung „Scheide, Vagina“ als Bildung ohne l-Suffix heran. Dieses Wort ist jedoch erst in spätvedischer Zeit nur dreimal belegt und sollte besser fernbleiben (EWAia I: 463). Vor dem Hinter­grund der an­deren Etymologien in diesem Wortfeld ist es wesentlich nahelie­gender, die uridg. Wur­­­zel *(ĝ)heHbh- „ergreifen, nehmen“ zugrunde zu legen. Die sich aus den kel­ti­schen und germanischen Wörtern ergebende Rekonstruktion uridg. *(ĝ)hHbh-lo/eh2- er­folgte mit einem Suffix *-lo-/-leh2-, das unter anderem Nomina instrumenti bildet und bei­spiels­weise auch in Schlägel, Prügel und Löffel vorliegt. Uridg. bzw. vorkelt. und vorgerman. *(ĝ)hHbh-lo/eh2- bedeutete also „Gerät zum Auf­neh­men, Ergreifen“.

Literatur:
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7).
Delamarre, Xavier 2003: Dictionnaire de la lange gaulois. Paris: Éditions Errance.
Dictionary of the Irish Language. Electronic version: http://www.dil.ie/.
Geiriadur Prifysgol Cymru [Wörterbuch der Hochschule von Wales], unter: http://www.wales.ac.uk/dictionary.
Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Karg-Gasterstädt, Elisabeth u.a. 1952–: Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftr. der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings. Bd. 1–. Berlin: Akad.-Verl.
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
Lellwitz, Anne-Petra 1992: „Die Zivilisierung des Essens“. In: OIKOS 1992: 364-373.
Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866. Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Reichert.

Autorin: Sabine Ziegler