Etymologie

Schuld

Schuld f. „bestimmtes Verhalten, bestimmte Tat, womit jemand gegen Werte, Normen verstößt; begangenes Unrecht, sittliches Versagen, strafbare Verfeh­lung“, ahd. sculd „Schuld, Sünde, Verbrechen; Pflicht; Grund; Anklage“, mhd. schulde, schult, scholt, asächs. skuld, mndd. schult, mndl. scult, aengl. scyld, anord. schwed. skuld < urger­man. *skulði- f. < uridg. *sk-tí- f., ti-Abstraktum zu dem germanischen Verb *skul-an „sollen, verpflichtet sein“, got. Präteritopräsens skal < uridg. Perfektstamm *(ske-) skol-. Die zugrunde liegende uridg. Wurzel *(s)kel- „schul­­dig werden“ ist auch in alit. skelù, lit. skeliù, skelti „schuldig sein“, apreuß. skellānts „schuldig“ bezeugt (der Ansatz mit s-mobile erfolgt aufgrund von balt. Formen wie lit. kalt „Schuld“, LIV²: 552 Anm. 1). Möglicherweise gehören ferner air. col o, n. „Schuld, Sünde, Verbrechen“ < uridg. Transponat *(s)kol-o- und lat. scelus n. „Ver­brechen“ < uridg. Transponat *skel-es/os- hierher. Aus semantischen Gründen scheint diese Verbindung näherliegend als die allgemein aner­kannte mit griech. skélos „Oberschenkel, Bein“, skoliós „krumm, verdreht, schief“ (z.B. in de Vaan 2008: 544). Es ist jedoch auch denkbar, nur éine Wurzel *(s)kel-, etwa „krumm sein“, zu rekonstruieren und dann – wie bisher für lat. scelus angenommen – über „verdreht, krumm, schief“ zu der metapho­rischen Bedeutung „schuldig“ zu gelangen; vgl. etwa dt. krumme Dinger drehen „Schwin­deleien be­gehen“, auf den schiefen Weg geraten „eine Laufbahn als Verbrecher einschlagen“ u.a. Schuldspruch m. „Rechts­spruch, in dem ein Angeklagter schuldig ge­sprochen wird“, Determinativkom­positum aus Schuld und Spruch (dazu s. unter Einspruch), ist erst seit dem 19. Jh. nachweisbar.

Literatur:
Beekes, Robert S.P. 2009: Etymological Dictionary of Greek. Amsterdam: Brill.
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7).
Goebel, Ulrich/Reichmann, Oskar 1986–: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Begr. von Robert R. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann. Bd. 1–. Berlin u.a.: de Gruyter.
Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866. Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Reichert.

Autorin: Sabine Ziegler