Vitrine
Vitrine f. „Schaukasten, Glasschrank“ wurde in der 2.
Hälfte des 19. Jh.s aus frz. vitrine
f. „Glasschrank, Schaufenster“ übernommen (Pfeifer s.v.; ein alter Beleg in Meyers
Conversationslexicon, 6. Auflage von 1905-1909; http://woerterbuchnetz.de/Meyers/?sigle=Meyers&mode=Vernetzung&lemid=IV02324). Frz. vitrine ist eine Mischbildung aus vitre f. „Glasscheibe,
Fensterscheibe“ (entlehnt < lat. vitrum „Glas“, dessen direkter lautlicher Fortsetzer liegt
vor in frz. verre m. „Glas, Trinkglas“)
mit Anfügung des frz. Suffixes -ine wie in frz. verrine „Gläschen,
Glasbehälter“. Lat. vitrum bezeichnet
nicht nur das Glas, sondern auch die Pflanze Färberwaid (isatis tinctoria);
dabei kann nicht geklärt werden, ob dies eine zufällige Homophonie und somit
ein Zusammenfall ursprungsverschiedener Wörter ist, oder ob eine sekundäre Bedeutungsaufspaltung
aus einem Wort vorliegt, da mit Waid gefärbte Stoffe von einer grünlich-blauen
bis lila-blauen Farbe sind (vgl. auch das ahd. Adjektiv weitīn „(dunkel-)blau“) und antikes Glas oft grünlich oder bläulich
und zuerst auch nicht durchsichtig war.
Bis heute gibt es
für lat. vitrum keine allgemein
anerkannte Etymologie. De Vaan schlägt vor, vitrum auf uridg. *ed-ro- „wasserähnlich, wasserfarbig,
durchsichtig mit der Farbe von Wasser“ zurückzuführen. Diese Herleitung ist lautlich schwierig, da
ein ad-hoc-Wandel von e > i angenommen werden müsste. Ältere
Etymologien sind bei Walde/Hofmann
1938 s.vv. verzeichnet, die allerdings vitrum
„Glas“ von vitrum „Färberwaid“
trennen und das Wort für „Färberwaid“ auf eine zumindest westindogermanische
Wurzel *eit- zurückführen, die in
lat. vitrum (< *it-ro-), ahd. weit, aengl. wád, nengl. woad „Färberwaid“ (< *eito-) vorliegt. Lat. vitrum „Glas“ soll nach Walde/Hofmann
1938 s.v. dagegen eine Entlehnung aus einem germanischen Wort *χwiþra-
„leuchtend, glänzend“ sein, das allerdings nicht bezeugt ist. Fortsetzer derselben
Wurzel mit anderer Wortbildung sind etwa dt. weiß, engl. white. Aus diesen sowie sachgeschichtlichen Gründen wird hier jedoch eine
andere Etymologie vorgeschlagen:
Künstliches
Glas wurde erstmals im Nahen Osten hergestellt; das älteste bisher gefundene,
sicher datierbare Glasgefäß stammt aus der Zeit Thutmosis III (Mitte 15. Jh. v.
Chr.). Die ältesten Gläser sind nicht durchsichtig und glänzend, sondern matt
und farblich von weiß über grau bis ins grünliche oder bläuliche spielend;
jedoch wurden sie schon früh mit bunten Glastropfen und Glasfäden versehen. Im
Rahmen des Technologietransfers werden die Wörter für die importierten
Produkte ebenfalls häufig übernommen (vgl. etwa Computer, Laser
oder die schwedische Entlehnung Jenaer glas „hitzebeständiges Glas“). Im
älteren Akkadischen existierte nun ein Adjektiv bitrāmu, bitrumu „vielfarbig“, das sich im
jüngeren Akkadischen bzw. Assyrischen zu bitrum
entwickelte und unter anderem zur Beschreibung bestimmter Glassorten
verwendet wurde (Von Soden 1965-1981 Band 1 und CAD-B s.vv.).
Während des Entlehnungsvorgangs in lat. vitrum wurde möglicherweise der Anlaut
im Lateinischen nach dem Wort vitrum
„Färberwaid“ volksetymologisch aufgrund der Farbigkeit umgestaltet. Lat. vitrum „Glas“ ist auch in air. fuither „Glas“ und kymr. gwydr entlehnt.
Literatur:
CAD = Chicago Assyrian Dictionary. Chicago: The Oriental Institute of Chicago, 1964-2001.
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7).
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
von Soden, Wolfram 1965-1981: Akkadisches Handwörterbuch. 3 Bde. Wiesbaden: Harrassowitz.
Walde/Hofmann 1938: Walde, Alois / Johann Baptist Hofmann: Lateinisches Etymologisches Wörterbuch. Heibelberg: Winter.
Autorin: Sabine Ziegler