Etymologie

Zunge

Das Wort Zunge f. "Organ zum Sprechen und Schmecken" ist bereits in ahd. zunga "Zunge; Rede, Sprache", mhd. zunge bezeugt. Dazu gehören asächs. tunga, mndd. tunge, tonge, mndl. tonghe, tunghe, ndl. tong, aengl. tunge, anord. schwed. tunga und got. tuggō, die auf urgerm. *tungōn f. aus vorurgerm. *dn̥ĝhu̯ā- aus uridg. *dn̥ĝhu̯eh2- "Zunge" weisen. 
Das Wort ist mit gleicher Bedeutung in anderen indogermanischen Sprachen,zum Teil mit nicht-lautgesetzlichen Umgestaltungen, ebenfalls gut bezeugt. Dabei stimmen bezüglich der Wortbildung folgende Wörter mit dem Germanischen überein:
Aind. jihv- (s. EWAia I: 591f.) aus uridg. *dn̥ĝhu̯eh2- > uriir. *jajhu̯ā- (mit Angleichung des Anlauts)*jijhu̯ā- (mit i in erster Silbe nach der Wurzel lih- "lecken"), osk. fangvam Akk. Sg. f., alat. dingua, lat. lingua f. (alle aus uridg. *dn̥ĝhu̯eh2mit Angleichung des Anlauts an lat. lingere "lecken"), armen. lezow (Gen. lezowi, a-St., mit Angleichung der Wurzel an lizem "lecken"),  air. teng ā, f. Diese Formen basieren (unter Annahme der verschiedenen Umgestaltungen) alle auf einer uridg. Form *dn̥ĝhu̯eh2- "Zunge".
Daneben steht uridg. *dn̥ĝhuh2- "Zunge", bezeugt in aind. juhū́- f. "Zunge, Opferlöffel" (mit Vokalassimilation in der ersten Silbe) und av. hizū- m- "Zunge, Opferlöffel" (mit unerklärtem anlautenden h aus älterem *s), die auf eine uriir. Form *jijhū(mit Angleichung des Anlauts und i in erster Silbe nach der Wurzel lih- "lecken") und schließlich auf uridg. *dn̥ĝhuh2- weisen.
Toch. A käntu (Gen. käntwis) m., n. und toch. B käntwo m., n. gehen auf urtoch. *käntwō zurück und zeigen Metathese aus älterem *tänkwo < uridg. *dn̥ĝhu̯eh2-n- (Adams 147).
Umgestaltungen bzw. Erweiterungen davon sind sind lit. liežùvis m. (die Wurzel ist an lit. liẽžti "lecken" angeglichen, ALEW I: 582f.) mit apreuß. insuwis (das im Anlaut denselben Schwund des uridg. *d- aufweist wie das Russische), und mit k- Erweiterung und Anlautsschwund aksl. językъ, russ. jazýk sowie mit t-Erweiterung tengae t, f., mkymr. tafawt, nkymr. tafod, mbret. teaut, akorn. tauot; alle keltischen Formen zeigen entweder Anlautsangleichung an tongid "schwören" oder nach Matasović 368 eine Sonoritätsassimilation von d...t zu t...t, die aber nicht für das Grundwort air. teng angenommen werden kann. 


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Autorin: Sabine Ziegler