Etymology

Gehorsam

Gehorsam m. „Unterordnung unter den Willen einer Autorität“ ist seit althochdeutscher Zeit bezeugt: ahd. gihōrsamī f. (um 1000), hōrsamī f. (9. Jh.), mhd. gehōrsam(e) f., daneben mhd. gehōrsam m.; die maskulineForm überwiegt seit dem 16. Jh. Die Wörter sind Ableitungen des Adjektivs gehorsam „folgsam,willig, brav“, ahd. gihōrsam, hōrsam (8. Jh.), mhd. mndd. gehōrsam, mndl. ghehoorsaem, nndl. gehoorzaam, aengl. (ge)hīersum, (ge)hȳrsum. Das Adjektiv ist eine infolge der Christianisierung gebildete Lehnschöpfung auslat. oboediēns Part. Prs. „willfährig, fügsam“, einem Präfixverb von audire „hören“, mit dem Suffix zur Bezeichnung von Charaktereigenschaften germ. *-sama-. Noch im Änhd. steht Gehorsam auch für„Gefängnis“, entstanden wohl aus einer Wendung wie in den Gehorsam gehen „in Haft gehen“ (mener en prison, auxarrêts Rädlein 340a, nach DWb).
Das zugrunde liegende Verb hören ist in den germanischen Sprachen gutbezeugt: ahd. hōren (8. Jh.), mhd. hœren, asächs. hōrian, mndd. horen, mndl. hōren, nndl. horen, aengl. (angl.) hēran, (westsächs.) hīeran, engl. to hear, anord. heyra, schwed. höra, got. hausjan. Das germanische Verb kann als *haus-jan/*hauz-jan, westgerman. *hōr-jan „hören“ rekonstruiert werden. Es gibt verschiedene Erklärungen für die german.Wurzel *haus- bzw. ihren uridg.Vorgänger:
1. Die urgerman. Wurzel *haus-(mit gramm. Wechsel *hauz-) setzt eine uridg. Wurzel *(h2)kous- ‚hören‘ fort, die in griech. akoúein ‚hören‘ als thematisches Prs.bezeugt ist. Möglicherweise ist uridg. h2kous-e/o- eine aus einem voridg. Kompositum *h2k-h2ous- ,scharfe Ohren habend‘ rückgebildete sekundäre Verbalwurzel mit Laryngalschwund im Kompositionshinterglied (Schaffner 2001: 580 Anm. 308; Steinbauer 1989: 86; EWAIV: 1135ff. s.v. hôren).
2. Die urgerman. Wurzel *haus- ist die s-Erweiterung einer uridg. Wurzel *(s)keuh1- „beachten,vernehmen, schauen“ (LIV² 561), die in gr. koéō, koéein „bemerken, vernehmen, hören“, lat. caveō, cavēre „sich in Acht nehmen, aufpassen“, aind. (ā)kuváte ‚beabsichtigen‘ (EWAia I, 328) sowie aksl. čujǫ, čuti „fühlen, merken“ belegt ist (EWDs.v. hören). Auch dt. schauen kann zu dieser Wurzel gestellt werden (EWD s.v. hören, schauen).

Literatur:
DWb = Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971).Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: DeutscherTaschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt amMain: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
EWA = Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–.Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
EWAia = Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde.Heidelberg: Winter.
EWD = Kluge, Friedrich 2011: EtymologischesWörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. ElmarSeebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Kroonen, Guus 2013: EtymologicalDictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
LIV² = Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihrePrimärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeitvieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, BrigitteSchirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix.Wiesbaden: Reichert.
OED = Oxford EnglishDictionary. www.oed.com.
Schaffner, Stefan 2001: DasVernersche Gesetz und der innerparadigmatische grammatische Wechsel desUrgermanischen im Nominalbereich. Innsbruck: Inst. für Sprachen undLiteraturen. (Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft 103).
Steinbauer, Dieter 1989:Etymologische Untersuchungen zu den bei Plautus belegten Verben derlateinischen ersten Konjugation. Unter besonderer Berücksichtigung derDenominative. Diss. Altendorf, 1989.

Autorinnen: Bettina Bock und Sabine Ziegler