Etymology

Geländer

Geländer n. „an der freien Seite von Treppen oder Balkonen angebrachte zaunartige Schutzvorrichtung zum Festhalten und Sichern“ ist seit dem 14. Jh. belegt: swer gen dem chorn gelanter, tulle oder zaun hat, der sol daz chorn damit befriden (Schmeller2 I 1486, DRW s.v. Geländer). Neben der Form gelanter findet sich seit dem 15. Jh. ge­lenter und gelender mit Umlaut. Es handelt sich bei dem Wort um eine Kollektiv­bildung mit Präfix ge- zu mhd. lander „Stangenzaun“. Was die Semantik betrifft, so le­gen der Beleg oben sowie ein weiterer frühneuhochdeutscher für lander – umbe reb­garten ziune und landern machen (BASL. rechtsqu. 1,109 (a. 1420), Lexer s.v. lander) – einen Unterschied zwischen Zaun und Lander nahe. Zaun kommt dabei jedoch die Funktion des Hyperonyms zu, vgl. die Beleglage (z.B. Lexer s.v. zûn), so dass unter diesem Begriff die verschiedenen Typen von Zäu­nen gefasst werden können. Ferner war tulle (im ersten Beleg) die Bezeichung für den Pa­lisadenzaun oder festen Bretterzaun und eter (Lexer s.v. eter) der „Flechtzaun“. Nach dem Erstbeleg ist Geländer zunächst ein „Trennungszaun“, der u.a. zur Feld­abgrenzung diente. Schon bald erfolgte aber auch die Übertragung auf die Aufstiegshilfe und Schutzvorrichtung an Treppen. Die Verbindung von mhd. lander st. n./sw. f. „Stan­genzaun“ (mundartlich noch bewahrt, vgl. süddt. Lander „Stangenzaun; Zaunstange, Lat­te“) mit urslaw. *lǫtъ „Lindenbast; Gerte“ (vgl. russ. dial. lut, lutь „Lindenbast“, weiß­russ. łút’é n. „Lindenbast; Weidenzweige“) < uridg. *lonto- (slaw.) bzw. *lonto-ro- (germ.) ist zweifelhaft. Die dabei vorgeschlagene Verbindung mit Linde (so z.B. Pfei­fer) scheitert schon daran, dass Lindenholz als Bauholz kaum Verwendung fand, vgl. eʒ sol auch niemand hawen ... dheinerlei gerten denn aichen zu hewsern (haus, hohler theil einer axt) und zu tüllen, weiden und espien zu zewnen. Nürnb. pol.-ordn. 306 Baader (von 1354, bez. 1425, DWb s.v. Gerte). Bedeutend war v.a. der Lindenbast. Allenfalls könnte lander ursprünglich also das biegsame Befestigungsmaterial für die Stangen bezeichnet haben. Die Bedeu­tungen „Stangenzaun“ und „Zaunstange“ würde dann auf metonymischer Übertragung ba­sieren. Lautlich gleichfalls korrekt und semantisch noch naheliegender ist aber eine Ver­bindung mit Wörtern wie thür. lendern „dürr, abgemagert“, schwäb. landerig „dünn, mager“, die mit mengl. slendre „schlank, dünn, schmächtig“, nengl. slender „dünn, schmächtig; kraftlos, schwach“, mndl. slinder „zart“ auf urgerman. *(s)lanđ(a)ra- zurückgehen. Das Geländer wäre nach dieser Etymologie der aus „dün­nen Stangen“ gebildete Zaun, vielleicht ein Zaun aus kreuzweise gelegten dünnen Stan­gen, der sich durch diese Bauweise auch von den anderen Zäunen unterscheidet. Ur­german. *(s)lanđ(a)ra- ist weiter mit einem Verb urgerman. *(s)lenđ-a- „kriechen, schlei­chen, schlingen“ zu verbinden, so dass die Ausgangsbedeutung für das Adjektiv „krie­chend“ > „kraftlos; dünn“ war. Das Adjektiv kann weiter auf uridg. *(s)londhro- zu­rück­geführt werden oder geht mit ai. radhrá- „ermattend, schlapp“ auf *(s)ln̥dhro- zu­rück, das Verb setzt *(s)lendh-e/o- „kriechen“ fort.
Benennungsmotiv für die Bezeichnung im Wortfeld „Haus“ ist: <HAT: dünne Stangen>.

DRW: Deutsches Rechtswörterbuch, unter: http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw.
DWb: Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de, s.v. Geländer.
Kluge, Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.v. Geländer.
Lexer: Lexer, Matthias von 1992: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Nachdruck der Ausg. Leipzig 1872–1878. Stuttgart: Hirzel. Auch in: Burch, Thomas/Fournier, Johannes/Gärtner, Kurt (Hgg.) 2002: Mittelhochdeutsche Wörterbücher im Verbund: CD-ROM und Begleitbuch. Stuttgart: Hirzel, 2002. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.v. Geländer, Linde.
Pokorny, Julius 2002: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. 2 Bde. 4. Aufl. Bern, Stuttgart: Francke, s.v. lento-.
Ziegler in: Neri, Sergio/Ziegler, Sabine 2012: Horde Nöss. Etymologische Studien zu den Thüringer Dialekten. Bremen: Hempen. (Münchener Studien zur historischen Sprachwissenschaft; 13), s.v. lendern.

Autorin: Bettina Bock