Etymology

Leber

Leber
Ahd. lebara, mhd. leber(e), mnnd. lever, mndl. lever(e), aisl. lifr, ae. lifer, afries. livere „Leber“ geht auf urgerm. *liᵬrō(n) f. zurück.
Die immer wieder erwogene Verknüpfung des Wortes mit dem idg. Heteroklitikon für die Leber *(H)i̯ékr̥(‑t) n. in ai. yákr̥t, lat. iecur, griech. ἧπαρ [hêpar] usw. (NIL 2008: 392ff.; zur Dehnstufe im Griechischen und zum Ablaut im Lateinischen Rix 1965; zur Frage des Anlautlaryngals Neri 2003: 26 Anm. 51 mit Lit.) ist lautlich und morphologisch ausgeschlossen, weil weder der Anlaut noch die Fortsetzung des Labiovelars als b plausibel erklärbar sind. Diese schon von Pfeifer 1993: 777 abgelehnte Verbindung wird von Kluge/Seebold 1989: 432 f. und auch noch Kluge/Seebold 2011: 565 als „nicht völlig ausgeschlossen“ betrachtet und ist auch bei Kroonen 2013: 336 als einzige Deutungsmöglichkeit in Erwägung gezogen. Sie muss daher noch einmal ausführlich wiederlegt werden.
Was zunächst den Anlaut betrifft, so ist der Verweis auf das ebenfalls mit einem unerwarteten l anlautende arm. Wort leard „Leber“ (Kluge/Seebold 1989: 433; 2011: 565) wenig hilfreich, weil die Anlautvertretung von idg. * im Arm. überhaupt unklar ist. Regulär ist die Fortsetzung als l auf keinen Fall, und außerdem ist der Schwund eines Labiovelars im Arm. zumindest in dieser Position ohne Parallelen. Olsen 1999: 191f. löst das Problem mit der ad-hoc-Annahme einer Art Verkürzung des zuletzt von Schindler 1966 auf der Basis von heth. lissi‑ [sic] „Leber“ rekonstruierten Syntagmas *lisi (h)i̯ḗkr̥t „fette Leber“ => *lisr̥t. Diese Rückführung ist aber in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Zunächst einmal ist das heth. Wort nach Ausweis von li-e-ši in KUB XII 58 I 24 eindeutig als lesi‑ zu lesen. Außerdem ist die etymologische Verknüpfung von heth. lesi‑ mit einem nach Schindler in griech. λαρινός [larinós] „fett“ und lat. lāridum „Speck“ bezeugten Etymon *lai̯es‑ in mehrfacher Hinsicht problematisch. Ein Transponat *lai̯es‑idos hätte nämlich im Lat. lautgesetzlich *laeridus ergeben müssen, und das griechische Wort kann auch auf griech. λαρός [lārós] „köstlich“ bezogen werden (Beekes 2010: 835). Es ist demnach denkbar, dass lat. lāridum mit Suffixsubstitution aus griech. *lārinos oder einer nicht bezeugten, dialektal-griechischen Nebenform entlehnt ist (de Vaan 2008: 327f.). Eine Basis *la(u̯)aros oder *la(u̯)eros scheidet als Vorform für heth. lesi‑ aber auf jeden Fall aus, und damit bleibt das Wort etymologisch isoliert; Kloekhorst 2008: 525 hält es für nicht-indogermanisch. Ist aber ein grundsprachlicher Ursprung von heth. lesi‑ nicht plausibel zu machen, so entfällt logischerweise auch das von Schindler postulierte Syntagma *lisi (h)i̯ḗkr̥t „fette Leber“ als Ausgangspunkt für arm. leard, das demnach auch als Parallele für den l‑Anlaut ausscheidet.
Ebenso unwahrscheinlich ist die bei Pfeifer 1993: 777 referierte Annahme einer Einkreuzung der Verbalwurzel idg. *leik „zurücklassen“, nach der die Leber „das beim Opfer den Göttern überlassene Organ“ gewesen sei. Das ist weder formal noch semantisch durch irgendwelche Evidenz zu stützten.
Lautlich möglich, semantisch aber wenig wahrscheinlich ist die Deutung des Wortes als „Sitz des Lebens“ (als Möglichkeit erwogen bei Pfeifer 1993: 777 und Duden 2001: 475) mit etymologischem Anschluss an die Sippe von got. liban, aisl. lifa, ahd. lebēn usw. „leben“ < urgerm. *lib‑ǣ‑ als Essiv *lip‑h1i̯é‑ zur Wurzel idg. *lei̯p‑ „kleben bleiben“ (LIV 1998: 366f.). Eine adjektivische Primärbildung in dieser Bed. würde die erst innergermanische semantische Entwicklung von „*kleben bleiben“ > „*leben“ des Zustandsverbums („Essivbildung“ in der Terminologie des LIV 1998: 25) voraussetzen (vgl. aksl. pri-lьpljǫ „klebe an“, toch. B lipetär „bleibt übrig“, LIV 1998: 366). Aber innerhalb des Germanischen ist ein Konzept der Leber als „Sitz des Lebens“ nicht nachweisbar, allenfalls gibt es späte Reflexe der auf die antike Säftelehre zurückgehenden Vorstellung von der Leber als dem „Sitz des Gemütslebens“ (vgl. dazu Röhrich 1991: 944f. und Bächtold-Stäubli 1933: 976ff.).
Vorzuziehen ist daher die Deutung des germ. Wortes als ursprüngliches Attribut „die fette“ mit etymologischem Anschluss an griech. liparós „fett“, beides nominale Ableitungen zur eben erwähnten Verbalwurzel *lei̯p‑ „kleben bleiben“ (LIV 1998: 366f.; NIL 2008: 453ff.). Allerdings ist auch diese Gleichung lautlich nicht exakt, weil das für das Germanische und für ved. riprá‑ n. „Schmutz, Fleck“ vorauszusetzende *lip‑ró/ah2 im Griechischen wohl durch Einfluss von lipa „Fett“ umgestaltet wurde (Meissner 2006: 62; der von Kluge/Seebold 2011: 565 angeführte neutrale s‑Stamm lípos ist sekundär, vgl. Beekes 2010: 864). Das feminine Genus von germ. *liᵬrō(n) kann außerdem nicht direkt auf eine frühe Ellipse des in der Grundsprache neutralen Wortes *(H)i̯ékr̥(‑t) zurückgeführt werden, sondern setzt eine als Feminin interpretierte Kollektivbildung voraus. Das hat eine Parallele in der Kollektivbildung bei dehnstufigem griech. ἧπαρ [hêpar] und ist bei Organbezeichnungen überhaupt häufig, vgl. noch das formal ganz anders gebildete heth. hahressar „Lunge“ mit Kollektivsuffix ‑essar gegenüber einfachem hahri‑ „Lunge“ oder nhd. Ge‑hirn neben Hirn.
Semantisch vergleichbar ist das Benennungsmotiv von air. trom(m) „Leber“ (DIL: 608 s.v.), das auf einem inneririsch substantivierten Adjektiv urkelt. *trud‑smo‑ „schwer“ zur Wurzel idg. *treṷd‑ basiert (vgl. Wodtko 1995: 285). Im weiteren Sinne vergleichbar ist das Wort für die „Lunge“ , ahd. lunga, mhd. lunge, as. lunga usw. <*h1ln̥gʰ‑n‑ih1‑ah2- (NIL 2008: 280) zur Wurzel *h1lengʰ‑ „sich mühelos bewegen“ ( LIV 1998: 220f.); eine adjektivische Caland-Formation wird u.a. durch ved. raghú‑ „schnell, eilend“ < *h1ln̥gʰ‑ú‑, lit. leñgvas „leicht“ <*h1lengʰ‑u̯o‑, griech. elaphrós „leicht, beweglich“ < *h1ln̥gʰ‑ró‑ fortgesetzt. Ein Beispiel für den Ersatz des Regens durch sein Attribut schließlich zeigt die Entwicklung von spätlat. iecur ficātum „Feigenmast-Leber“ zu ital. fegato, span. hígado, franz. foie „Leber“ (zur roman. Sippe vgl. Meyer-Lübke 1935: 699 f.) und neugriech. συκώτι „Leber“ als Weiterbildung von altgriech. σῦκον „Feige“.

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