Backe
Im Ahd. ist Backe als swm. backo
„Backe, Kinnlade, Kiefer“, gl. lat. mandibula, mala, bezeugt, im
Mhd. als backe m., z.B. in daz sie [die Drachen] daz wilde viure werfent ûz den backen (Krone 13406).
Nhd. bietet das fem. die Backe neben dial. der Backen, z.B. in Krokodilstränen kullern den
Kleinen schnell über die Backe, wenn ihnen etwas nicht passt
(badische-zeitung.de vom 25.06.2005), wo neben der Bedeutung „Wange“
auch die Bedeutung „Gesäßbacke“ vorkommt, z.B. in Kümmerlehn hat keinen Zweifel,
daß er die Herausforderung in Neu Wulmstorf "auf einer Backe" absitzt (abendblatt.de vom 01.04.2005). Die ahd. Varianten des Kompositums kinnibacko
neben kinnibahho haben dazu geführt, dass man ahd. backo swm n-St.
„Backe, Kinnlade“ nicht gerne von ahd. bahho swm n-St.“(Speck)seite,
Schinken“ trennt. Die Konsonantengemination ist dabei in den obliquen Kasus des
n-Stamms entstanden (vgl. Lühr Expr 224f.) und hat zu einer
Paradigmentrennung in Formen mit -hh- (= nhd. ‑ch-) und -ck-
mit semantischer Differenzierung in „Wange“ und „Seite, (bes. vom Tier =)
Schinken“ geführt (ausf. Lühr Expr 225). Vergleichbare Prozesse der
Paradigmenaufspaltung aus lautlichen Gründen haben z.B. das Nebeneinander von
lat. deus „Gott“ und divus „göttlich“ bewirkt. Inwieweit ahd. bracko
swm n-St. „Wange, Backe, Kinnbacke“ dazu gehört, ist von der Forschung bisher
nicht befriedigend dargestellt worden (EWD: „das r kann zwischen Labial und
Tektal ausgefallen sein“, wie in ahd. spehhan neben sprehhan).
Näheres siehe unten. Seit ahd. Zeit ist das Wort Backe als sw. Mask. bezeugt, daneben gibt es
im Mhd. auch die Flexion als mask. a-St. Im älteren Nhd. beginnt sich
langsam das fem. Genus ausgehend vom Niederdeutschen auszubreiten. Die
Genusänderung dürfte zusätzlich durch die Feminina Wange und vielleicht Kinnlade
erleichtert worden sein; das mask. Backen ist in manchen oberdt.
Dialekten noch erhalten. Backe
ist gegenüber Wange das weniger gehobene Wort, wahrscheinlich aufgrund
der Doppeldeutigkeit mit Backe = Arschbacke.Die etymologische Herleitung wird
durch die Beleglage im Ahd. erschwert. Neben backo „Backe, Kinnlade;
Hinterbacke“ gibt es auch bahho „Schinken, Speckseite“. In den Komposita
ahd. kinnibacko neben kinnibahho sieht man die ursprgl. gleiche
Bedeutung beider Wörter. Durch lautlich bedingte Paradigmenspaltung mit
gleichzeitiger semantischer Differenzierung (siehe oben) sind aus einem german.
n-St. *ƀaka/ōn-, obl. St. *ƀakn-, „Rücken“ beide Wörter
entstanden: *ƀaka/ōn- > ahd. bahho „Speckseite, Schinken“ und
*ƀakn- > *bakkan- > backo „Backe“ (Lühr, Expr.
225; EWA I 417-418, 421-423). Diese Wörter finden weiteren Anschluss
in anderen germanischen Sprachen, z.B. engl. back < german. *baka- mask. a-St. „Rücken“
(EWA I 417f., 421-424). Auch eine Bedeutung „Rücken“ im Sinne von „Bergrücken,
Erhebung, Hügel“ ist z.B. in schwed. backe „Hügel“ < german. *ƀakan-
bezeugt, die eine ursprüngliche Bedeutung der nominalen
„Wurzel“ german. *ƀak- entweder als „Erhebung“ oder als „Rücken“
wahrscheinlich machen. Auch andere Sprachen bieten hier semantisch
Vergleichbares: Air. druim i, ntr. bedeutet sowohl „Rücken“ (am
Lebewesen) als auch „Bergrücken, Hügel“ [DIL D-410-412], lat. dorsum
ntr. ebenfalls „Rücken, Buckel“ und „Bergrücken“ (Georges I 2292). Neben lat. tergum
ntr. „Rücken“ gibt es tergus ntr. „Fleischrücken der Tiere; geräucherter
Schinken, Speckseite“ mit derselben semantischen Einengung wie ahd. bahho
auf „eßbarer (meist geräucherter) Rücken von Tieren“ (Georges II 3073). Doch gibt es ferner im Ahd. ein Wort bracko „Backe,
Kinnlade“, das in einem Kompositum mit kinni-, nämlich kinnibracko
„Kinnlade“, bezeugt ist, so dass die Formen kinnibahho, kinnibacko
und kinnibracko mit gleicher Bedeutung nebeneinander stehen. Die
r-haltige Form ahd. bracko lebt in manchen Dialekten fort, z.B. in
schweiz. Brack „dickbackige und daher dicke Person, dickes Tier“,
badisch Bracke „dicke Frau“, rhein. Brack „untersetzter Mann“,
hess. Brack(e)s „dicker, pausbäckiger Junge“ und im bair. Dialekt in dem
Adj. bracke(r)t „dickbäckig, pausbäckig“ (EWA II 275f.). Andere
germanische Sprachen zeigen keinerlei Fortsetzer dieser r-haltigen Formen. Das Nebeneinander von Formen mit und ohne r ist im
Ahd. zwar selten, aber doch bezeugt: neben üblichem sprehhan gibt es
auch spehhan „sprechen“. Auch das Aengl. zeigt sprecan neben specan,
hier hat sich die r-lose Form durchgesetzt, vgl. nengl. to speak.
Ob es sich bei dem insgesamt seltenen bracko um eine r-haltige
Variante von backo oder um eine ursprünglich eigenständige, zufällig
reimende Wurzel handelt, kann bis jetzt aus Mangel an Belegen nicht
abschließend geklärt werden. Denkbar ist folgendes Szenario: Ausgehend von german: *ƀaka- „Rücken,
Erhebung“ in engl. back „Rücken“ wurde eine n-Ableitung *ƀak-Vn-
„Rücken, Erhebung“ gebildet, die in schwed. backe „Hügel“ bezeugt ist. Im Dt. wurden beide aufgespalten in *ƀakVn-
„Rücken“ (ahd. bahho) und *ƀakkVn- „Backe“ (dann ursprünglich „Arschbacke“,
später übertragen auf „Gesichtsbacke“). Daneben stand noch *ƀrakkVn- mit Kons.Gem.
aus obl. Kasus aus älterem *ƀrakVn- „Wange, Backe“. Dieses *ƀrakVn-
könnte, falls die Bedeutung „Wange, Backe“ (im Gesicht) hier ursprünglich ist,
zu der uridg. Wurzel *bhreh1ĝ- „glänzen, strahlen“
gehören (mit diversen Ablautangleichungen). *ƀrakVn- wäre dann die „glänzende,
strahlende Gesichtspartie“. Im Aind. kann bhrāj- „glänzen, schimmern“
auch von der Haut gesagt werden. Die Reimform bracko
könnte vielleicht stützend bei der Bedeutungserweiterung von backo „Arschbacke“
zu „Gesichtsbacke“ mitgewirkt haben.
Literatur:
DIL = Dictionary of the Irish Language. Electronic version: http://www.dil.ie/.
EWA = Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
EWD = Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Georges, Karl Ernst: Lateinisch-deutsches Handwörterbuch.
Bd. I 1837; Bd. II 1838. Leipzig: Hahn’sche Verlagsbuchhandlung.
Elektronische Edition. Berlin: Directmedia Publ. (Digitale Bibliothek
69).
Lühr Expr. = Lühr, Rosemarie 1988: Expressivität und Lautgesetz im Germanischen. Monographien zur Sprachwissenschaft 15. Heidelberg: Winter.
Autorin: Sabine Ziegler