Etymologie

Ballen

Ballen als Nominativ ist erstmals im 15. Jh. (Pfeiffer,s.v. Ballen) bezeugt. Seitdem 9. Jh. ist ahd. bal, maskuliner a-Stamm, belegt (EWA I: 430ff.), sowie seit dem 11. Jh. ballo (siehe unter Balle). Diese Wörter sind zuerst weitgehend bedeutungsgleich (EWA I: 430ff. und 443 ff.). Im Mhd. setzt die formale und semantische Differenzierung ein, die sich dann im Frühneuhochdeutschen festigt (vgl. Frühndt. WB s.v. bal, balle, ballen), z.B. in den Belegen frnhd. in dem balle des fuszes  (MYNS. 29, um 1440) und bei Henisch (1616) ball der fuessen, ball an der hand als a-Stamm neben so ein pferd ihm selber auf die ballen (die innere fläche des hufs) tritt (Seuter, 16. Jh., nach DWb s.v. Balle) als n-Stamm. Zunächst ist Ballen also nur eine schwach flektierende Nebenform zu n-stämmigem ahd. ballo / mhd balle. Mit der formalen Verfestigung ging die semantischeDifferenzierung von Ballen und Ball nhd. „kugelförmiger Gegenstand“ einher.
Ahd. bal ist m. a-Stamm (balla im Nom. Pl.). Wenn bal auf eine o-stufige Bildung mit Nasalsuffix zurückgeführt werden kann, ist es als Konkretum zu interpretieren. Zur Entwicklung vorurgerm. –ln- >germ. –ll- > ahd. –ll- vgl. ahd. fel n. „Fell“ < urgerm. fella- < vorurgerm. pel-no- (EWA s.v. fel). Als germ. Grundbedeutung passt am besten „rundliche Masse“, die dann auch metaphorisch auf andere rundliche Massen übertragen wurde. Innerhalb des Deutschen stellen sich dazu noch ahd. balla f. „rundlicher Bissen; Kugel, Ball“, ahd. ballo, mhd. balle, änhd. Balle (s. C.2.), frnhd. ballen, (ä)nhd. Ballen, ahd. ars-belli „Hinterbacke“, ars-bille „Hinterbacke“. Die breite semantische Fächerung von ahd. bal erfuhr durch das formal neue Ballen eine Spaltung in „Kugel usw.“, verbunden mit Ball,und „Muskelpolster an Hand, Fuß usw.“, verbunden mit Ballen.
Ahd. bal lässt mit seinen germ. Verwandten (mndd. bal „Ball; Ballen“, mndl./nndl. bal, nordfries. baal „Ball; Ballen; Mehl- oderFleischkloß“, me. bal(le) (< afrz.balle 13. Jh.) „(Spiel-)Ball; Ballen; rundlicher Bissen; Hode“, ne. ball; aisl. bǫllr (u-St.), nnorw. ball, ndän. bold, nschwed. boll eine urgerm. Form *balla-z rekonstruieren (das Nordgerm. setzt *ballu-z voraus). Dies geht nach EWAs.v. 1bal zusammen mit lat. follis, -is m. „lederner Schlauch; Ballon; Blasebalg; Geldbeutel; Hode(nsack)“ auf uridg. *bhol(H)-n-zurück (die gleiche Bildeweise zeigt lat. collis, -is m. „Hügel“ < **kol(h3)-n-i-). Eine genaue Bestimmung von *bhel(H)- ist jedoch schwierig; primäre Verbalbildungen fehlen, die Nominalbildungen (vgl. IEW s.v. 3. bhel-) zeigen eine Bedeutung „Gefäß“ wie lat. follis oder „rundliche (Fleisch-)Masse“ wie ahd. bal, die beide über räumliche Kontiguität metonymisch aufeinander bezogen werden können. Hinzu kommt eine sexuelle Komponente, vgl. die lat. Bedeutung „Hode(nsack)“. De Vaan 2008 s.v. follis zieht hingegen für das lateinische Wort nur keltische Verwandte heran (air. ball „Glied, Körperteil“, kymr. balleg „Sack, Korb, Beutel“) und sieht keine weitere Etymologie. Zum Keltischen gehört noch griech. phállos "Penis", das sich zusammen mit air. ball, gall. -ballos aus einer Schwundstufe *bhl̥-no- herleiten lässt, die nur aus einer laryngallosen Wurzel erklären werden kann.

Literatur
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7). 
IEW = Pokorny, Julius 20024: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. 2 Bde. Bern, Stuttgart: Francke. 
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Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Karg-Gasterstädt, Elisabeth u.a. 1952–: Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftr. der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings. Bd. 1–. Berlin: Akad.-Verl.
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Köbler AhdWb = Köbler, Gerhard: Althochdeutsches Wörterbuch, 4 Auflage, online unter http://www.koeblergerhard.de/ahdwbhin.html.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866. Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Reichert.
 
 Autorin: Bettina Bock