Berufung2
Berufung f. „Einspruch gegen ein Urteil“, mhd. beruofunge st.f. (der früheste ermittelbare Beleg ist zû
der berûfunge wart ime ein jâr tag gegeben (Das Leben des hl.
Ludwig, erste Hälfte 14. Jh., nach MhdWb), Verbalabstraktum zu nhd. (sich) berufen, ist eine im
rechtssprachlichen Kontext entstandene Lehnübersetzung von lat. appellāre
„sich (vor Gericht) berufen auf, um (gerichtliche Hilfe) bitten“ (Georges s.v. appello; EWD s.vv. appellieren,
Beruf. Auch mlat. appellatio hat diese rechtssprachliche
Bedeutung (Lexicon Mediae Latinitatis s.v.). Vgl. Jedoch hat solches nicht allenthalben Statt /
sondern wie wir anderswo gemeldet / sind viel Chur vnd Fürsten des Reichs also
Privilegirt , daß von Jhnen keine weitere Appellation oder Beruffung / … an die
Keyserl. Cammer verstattet werden; Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fürsten Stat, 1656, nach
DWDS) und erfuhr im Laufe der Verschriftlichung Einengung auf die heutige Bedeutung.
Das starke Verb rufen, ahd. (h)ruofan, mhd. ruofen, ist
noch in asächs. hrōpan, aengl. hrōpan, afries. (h)rōpa „rufen,
laut sprechen, schreien“ bezeugt; ein Nomen liegt in got. hrops m., ahd. ruof m. „Ruf“,
anord. hróp n. „Verleumdung; Gericht“ vor. Die Formen erlauben die
Rekonstruktion einer urgerman. Wurzel *χrōp- „rufen, schreien“, die auf
ein uridg. Transponat *kreh2/3b- weist. Diese Form könnte
eine b‑Erweiterung einer uridg. Wurzel *kreh2/3- „rufen,
rühmen“ (oder *kerh2/3- (LIV²: 353
*kerH- „rühmend gedenken“, dazu gehört aind. kari-,
av. kar- „dss.“). Die germanischen Formen mit Vollstufe II erklären sich
dann als Rückbildungen aus der Schwundstufe. Möglicherweise sind aber eher die
indoiranischen Formen mit Vollstufe I als Neuerungen anzusehen (so LIV²: 353
Anm. 1), dann muss die uridg. Wurzel als *kreh2/3- angesetzt
werden) sein, die nach Kroonen 2013: 249 noch in aind. kīrtí- f. „Erwähnung,
Gedenken, Ruhm“ (< uridg. *kh2/3-tí-), aengl. hrēð
m. „Ruhm, Ehre“ und indirekt got. *hroþ- in der Ableitung got. hroþeigs
„ruhmreich“ (beide aus urgerman. *χrōþi- < uridg. *kréh2/3-ti-)
sowie ahd. (h)ruom m., asächs. hrōm m. „Ruhm“ (< urgerman. *χrō-mo-
< uridg. *kreh2/3-mo- oder *kroh2/3-mo-)
bezeugt ist.
Eine ebensolche Erweiterung vielleicht noch
in ahd. wuofen sw.V., wuofan st.V, aengl. wépan, asächs. wōpian,
got. wopjan „rufen, weinen, klagen“. Diese Verben sind nach Kroonen 2013: 249 Vorbild für die Bildung von *χrōpan-: „The
connection with the root *hrō- „to report, rumor“ (cf. hrōþi-
„fame“) is problematic, because the origin of the suffix *-p- is unknown
(*b did not exist in IE). Perhaps, the verb arose due to association
with the semantic similar OE wōpan, OHG wuoffan < *wōpan“.
Leider
fehlt das Lemma urgerman. *wōpan- in seinem Wörterbuch. Diese Annahme
verlagert zudem nur das Problem der b- (oder p-)Erweiterung auf
die Wurzel *wōpan- (für die es ebenfalls keine Etymologie gibt).
Literatur:
DWb = Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch.
Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck
der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.
Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main:
Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
DWb2 = Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1965–: Deutsches Wörterbuch.
Neubearb. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1–. Leipzig, (später) Stuttgart: Hirzel.
DWDS = Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20.Jahrhunderts. www.dwds.de.
EWD = Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Georges = Georges, Karl Ernst: Lateinisch-deutsches Handwörterbuch.
Bd. I 1837; Bd. II 1838. Leipzig: Hahn’sche Verlagsbuchhandlung.
Elektronische Edition. Berlin: Directmedia Publ. (Digitale Bibliothek
69).
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
Lexicon Mediae Latinitatis. http://linguaeterna.com/medlat/
LIV² = Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen.
Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb.
von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2.,
erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix.
Wiesbaden: Reichert.
MhdWb = Mittelhochdeutsches Wörterbuch.
Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet
von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866.
Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
Autorin: Sabine Ziegler