Etymologie

Bewegung

Das Verbalabstraktum Bewegung zum Verb bewegen „die Lage verändern, jemanden rühren“, erscheint schon im Althochdeutschen: biwegunga st. f. (ō-St.) (Hs. 12. Jh.) „Bewegung“. Das Verb ist Ende des 8. Jh. erstmals belegt: ahd. biwegan st. „bewegen, wälzen, erwägen, erachten“, ein Präfixverb zum Simplex ahd. wegan st. „bewegen; wiegen, abwiegen, (er-)wägen; bestimmen, festsetzen; jemanden psychisch negativ beeinflussen“ (8. Jh.) < urgerm. *eg-a- „wiegen, bewegen“ (vgl. asächs. wegan „wägen“, mndd. wēgen, mndl. wēghen, ndl. wegen „wiegen, wägen, (ein-)schätzen“, aengl. wegan „bewegen, bringen, wägen, messen“, engl. to weigh, anord. vega „schwingen, heben, wiegen“, got. gawigan „bewegen, schütteln“) < uridg. *u̯̯eg̑h- „(späturidg.) etwas (mit dem Wagen) fahren“ (vgl. aind. váhati „fährt, zieht“, lat. vehere, aslaw. vesti, lit. vèžti „fahren“, vgl. auch LIV s.v.). Neben dem starken Verb bildeten die germanischen Sprachen ein schwaches Kausativum, vgl. ahd. weggen „bewegen, schütteln, erregen, ins Wanken bringen, zittern“ (7. Jh. in Urkunden), mhd. wegen „bewegen, schwingen, schütteln“, aengl. wecgan „bewegen, treiben“, got. wagjan „schütteln, bewegen“, wozu das schwache Präfixverb ahd. biweggen „bewegen, erregen, sich rühren, angreifen“ (Hs. 12. Jh.), mhd. bewegen „die Lage verändern, veranlassen“ gehört. Eine bedeutungsdifferenzierende Scheidung in ¹bewegen (mit starkem Prät. bewog) „veranlassen, zu etwas bestimmen“ und ²bewegen (mit schwachem Prät. bewegte) „die Lage verändern“ gilt erst in neuerer Zeit. Bereits im Frühneuhochdeutschen findet sich Bewegung in der metaphorischen Bedeutung „Aufruhr“: es erhub sich aber umb dieselbige zeit nicht eine kleine bewegung über diesem wege (apost. gesch. 19, 23, DWb s.v. Bewegung). Im 19. Jh. kam es unter dem Einfluss von frz. mouvement zu einer weiteren metaphorischen Bedeutung im Kontext „Politik“: Bewegung als Bezeichnung für „politische Strömungen“, vor allem in Zusammensetzungen wie Freiheitsbewegung (um 1800, vgl. Während dem Buonaparte die Zeit der Ruhe benutzte, […] um den Freiheitsbewegungen der Lombarden, Modeneser und Einwohner in den päbstlichen Legationen, durch eine streng gesetzliche Ordnung Festigkeit zu geben … (Maier 1809: 291), Arbeiterbewegung (1. Hälfte 19. Jh., vgl. dazu die negativ konnotierte Bedeutungsangabe DWb s.v. Arbeiterbewegung: „Aufruhr der Arbeiter, Arbeiterkrawall“) oder Jugendbewegung (um 1900, wobei Jugendbewegung vor allem als Teil der Arbeiterbewegung erscheint, vgl. den Buchtitel „Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der Internationalen Jugendbewegung“ von Liebknecht 1907). Benennungsmotiv ist dabei die verändernde Aktion.
 
DWb: Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Kluge, Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter,  s.v. bewegen2.
Liebknecht, Karl 1907: Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der Internationalen Jugendbewegung. Leipzig: Leipziger Buchdruckerei Aktiengesellschaft.
LIV: Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert-Verlag.
Maier, Johann Christoph 1809: Geschichte des Französischen Krieges. Siebenter und letzter Teil. Leipzig: Barth.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.v. bewegen. 

Autorin: Bettina Bock