Erbe1
Erbe n. „Vermögen, das jemand bei
seinem Tod hinterlässt und das in den Besitz einer gesetzlich dazu berechtigten
Person oder Institution übergeht“, ahd. erbi n. (ja-St.), mhd. erbe n. geht mit got. arbi
n., asächs. erƀi n., aengl. ierfe, yrfe n. alle „Erbe,
Erbgut, Besitz“ auf urgerman. *arƀija- < uridg. *h2/3orbhio- „beraubt, verwaist“ (= air. orbe, orbae n.
„Erbe, Erbgut“) zurück. Auf die gleiche Vorform weisendes anord. erfi n.
und run. arbija bedeuten dagegen „Leichenfeier“, aschwed. ærve
bezeichnet sowohl das Erbe als auch die Leichenfeier (genaueres in EWA II: 1115ff. und
Neri/Ziegler 2012: 213ff.; zur Semantik dieser Begriffe vgl. Grønvik 1982; zur
Herleitung s. noch Lühr 1982: 506 und Kroonen 2013: 33. Nach Weiss 2006: 259
bedeutete *h3órbho- „what or who [...] is
transferred“ und ist von einem uridg. Verb *h3erbh-
„change, undergo transfer, be turned over“ abgeleitet. – Das Kompositum Erbschleicherei „Versuch, auf
unmoralische oder widerrechtliche Weise in den Besitz einer Erbschaft zu
gelangen“ ist erst seit der 2. Hälfte des 18. Jh.s (frühester ermittelbarer Beleg von Christoph
Martin Wieland (1733-1813): sie haben durch erbschleicherei sich in den stand
gesetzt, es den ersten personen zuvor zu thun) und das zugrunde liegende Substantiv Erbschleicher „einer, der
versucht, auf ungesetzliche Weise zu einer Erbschaft zu gelangen“ seit ca.
1700 belegt (der früheste ermittelbare Beleg stammt aus
dem Jahr 1696: Er weiß / daß das Geld adelt / und das denen Reichen auch die
Gelehrten schmeicheln / und wenn er gleich noch so filtzig ist / doch die Erbschleicher
umbs Maul gehen / und caressiren (Christian Thomasius, Ausübung Der
SittenLehre, Halle (Saale) 1696; nach DWDS). Nach Adelung s.v. ist das Wort aus einer Form Erberschleicher
„einer, der sich das Erbe erschleicht“ entstanden; dieses Wort ist aber –
außer bei ihm – nicht bezeugt. Die Phrase sich ein Erbe erschleichen ist
zuerst 1751 nachweisbar: Wenn der Herr Licentiat keine Erbschaft von Jhnen
erschleichen kann, so kann er doch eine Rüge wider Sie machen (Gottlieb Wilhelm Rabener, Sammlung
satyrischer Schriften, Bd. 1, Leipzig 1751 (nach DWDS s.v. erschleichen). Sich etwas erschleichen in der Bedeutung „heimlich in seinen Besitz bringen“ ist seit frühneuhochdeutscher
Zeit belegt, z.B. in auch zeigen sie uns an, das die schedlich lutherisch
sect so vieler Deudschen gemüt als ein tödlich gift einzel erschlichen und
eingenomen hab.
Literatur:
Duden = Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hg.) 2000: Duden – Das große Wörterbuch.
Mannheim: Verlag Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG.
CD-ROM auf der Basis der 3., völlig neu bearb. und erw. Auflage der
Buchausgabe in 10 Bänden (1999).
Goebel, Ulrich/Reichmann, Oskar 1986–: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Begr. von Robert R. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann. Bd. 1–. Berlin u.a.: de Gruyter.
Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch.
Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck
der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.
Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main:
Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Grønvik, Ottar 1982: The Words for „heir“, „inheritance“, and „funeral feast“ in Early Germanic, Oslo.
Karg-Gasterstädt, Elisabeth u.a. 1952–: Althochdeutsches Wörterbuch.
Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im
Auftr. der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. von
Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings. Bd. 1–. Berlin:
Akad.-Verl.
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Lühr, Rosemarie 1982: Studien zur Sprache des Hildebrandlieds. Frankfurt/Main: Peter Lang, 2. Bde.
Mittelhochdeutsches Wörterbuch.
Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet
von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866.
Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Neri, Sergio/Ziegler, Sabine 2013: Horde Nöss. Etymologische Studien zu den Thüringer Dialekten. Münchener Studien zur historischen Sprachwissenschaft Bd. 13. Bremen: Hempen
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
Weiss, Michael 2006: „Latin Orbis and its Cognates“. HS 119 (2006), 250-272.
Autorin: Sabine Ziegler