Etymologie

Fenstersturz

(Fenster-, Tür-)Sturz m. „oberer Abschluss einer Maueröffnung für Fenster, Türen usw.“, ahd. sturz st. m. (a-St. ?; 8. Jh.) zeigt als Nomen actionis zu intransitivem sturzen „stürzen“ (seit ca. 1000) nur die Bedeutungen „Sturz, Fall, Veränderung“. Gegebenen­falls könnte die transitive Bedeutung „hinunterstürzen; umstülpen“ (vgl. schon ahd. stur­zen für lat. vices vertere „wechselnd wenden“) Ausgangspunkt für ein homonymes No­men rei actae „Umgestülptes“ sein, was auf verschiedene Erscheinungsformen bei Arte­fakten bezogen wurde. So zeigt sturz im 14. Jh. mit den Nebenformen Sturze, Stürze f. un­ter anderem eine Bedeutung „(Topf)deckel“. Fenster- und Türsturz sind metaphori­sche „Umstülpungen des Mauerwerks“. Das schwache Verbum sturzen (mhd. sturzen, stür­zen; nhd. stürzen) basiert zusammen mit mndd. storten, mndl. storten, aengl. sturtan, afr. sterta auf wgerm. *sturt-je/a-„stürzen“, das meist als Weiterbildung einer (Sekun­där-)Wurzel urgerman. *stert- als Erweiterung von uridg. *ster-/sterh1- „steif sein“ auf­gefasst wird. Semantisch setzt diese Auffassung aber eine Verbindung von „steif sein“ und „hinstürzen; hinunterstürzen“ voraus, die auf einer sehr abstrakten Vorstel­lung basiert. Alternative Erklärungen ergeben sich mit dem Anschluss an uridg. *ster- „nie­der­strecken“ oder uridg. *sterh3- „ausbreiten“. Wgerm. *sturt- erklärt sich dann als Nomen actionis *str̥do- „Niederstreckung/Niederstrecken“ (vgl. Krahe/Meid 1967: 175) mit denominalem Verb „eine Niederstreckung machen“, woraus sich die Bedeutungen „Sturz, Fall“ und „stür­zen, fallen“ problemlos ableiten lassen. Möglicherweise ist Sturz „Umstülpung“ aber nicht hier anzuschließen, sondern vielmehr mit uridg. *sterh3- „ausbreiten“ zu ver­binden. Hierfür spricht das semantisch nahestehende lat. torus, ‑ī m. „Wulst, ge­dreh­tes Seil, Schleife, Muskel, Schwellung, Polster“, das de Vaan zu lat. sternere „aus­breiten“ stellt. Sturz ginge dann auf *str̥h3-do- „Ausbreitung, Ausgebreitetes“ zurück.
Benennungsmotiv für die Grundbedeutung und die Bezeichnung im Wortfeld „Haus“ ist: <IST: Verbreiterung>.

De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series; 7), s.v. torus.
Kluge, Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.vv. Sterz, stürzen.
Krahe, Hans/Meid, Wolfgang 1967: Germanische Sprachwissenschaft. Bd. 3: Wortbildungslehre. Berlin: de Gruyter.
LIV: Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert-Verlag, s.vv. *ster-, *sterh3-.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.vv. Sterz, stürzen.
Walde, Alois/Johann Baptist Hofmann 1938: Lateinisches Etymologisches Wörterbuch. Heidelberg: Winter, s.v. torus.

Autorin: Bettina Bock