Etymologie

Freigebigkeit

Freigebigkeit f. „großzügige, freigebige Verhaltensweise“ ist eine Abstraktbildung zu dem Adjektiv freigebig „großzügig, nicht geizig, gernebereit, anderen etwas zu schenken“. Das Adj. freigebig ist bereits in älterer Zeit das Antonym zum Adj. geizig, wie der folgende Beleg in einer Sprichwortsammlung von 1541 zeigt: sie seind nit milt freigeber, sonder geitigverkaufer „sie sind keine milden Freigeber, sondern geizige Verkäufer“ (Franck, Sprüchwörter, 138; nach DWb; Bock 2016).
Die Basis bildet das starke Verb geben „(hin-, dar)reichen, schenken, überlassen“, das bereits in ahd. geban (8. Jh.), mhd. geben, asächs. geƀan, mndd. gēven, mndl. ghēven, nndl. geven, aengl. giefan (engl. to give ist aus dem Dänischen entlehnt, OED s.v.), anord. gefa, schwed. giva, got. giban(Prät. gaf) bezeugt ist und so ein germanisches starkes Verb *ǥeƀ-a/e- erweist, das auf eine uridg. Wurzel *ghebh- „fassen, nehmen; geben“ zurückgeht (LIV²: 193, EWA IV: s.v.), die möglicherweise eine Parallelbildung *⁽ĝ⁾heHbh-/ *⁽ĝ⁾hHebh- aufweist. Diese Wurzelvariante lebt in lat. habēre„halten, haben, besitzen“, air. gaibid „nimmt, ergreift, erhält“, lit. gabénti „fördern, transportieren, herbei-, fortschaffen“, aruss. gabati „bedrängen, verfolgen“, tschech. (älter) habati „raffen“, poln. gebać „anfechten, reizen, beunruhigen“ fort. Der Bedeutungsunterschied zwischen dem Germanischen „geben“ einerseits und den anderen Sprachen sowie dem urindogermanischen Bedeutungsansatz „nehmen, ergreifen“ beruht auf dem reversiven bzw. konversiven Verhältnis beider Bedeutungen (Ziegler 2012: 261), das in ähnlicher Weise auch zwischen heth. da- „nehmen“ und denjenigen anderen indogermanischen Sprachen besteht, in denen die uridg. Wurzel *deh3- „geben“ in ihrer alten Bedeutung fortlebt (LIV²: 105f.).
Das in dem Kompositum Freigebigkeit enthaltene Adj. frei ist bereits seit althochdeutscher Zeit und auch in anderen germanischen Sprachen bezeugt: ahd. as. afries. frī, mndd. mndl. vrī, aengl. frēo, got. freis „frei“ (EWA III: 555ff.). Diese Formen gehen auf ein uridg. Adjektiv *prih2ó- „eigen, lieb, frei“ zurück, das in mkymr. rhydd „frei“, aind. priyá- „lieb, eigen“ (NIL 2008: 651 ff.; EWAia II: 189f., Matasovic 141) vorliegt.

Literatur:
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Bock 2016: „Tugenden in Sprichwörtern“. Neri, Sergio/Schuhmann,Roland/Zeilfelder, Susanne (Hgg.): »dat ih dir it nu bi huldi gibu«.linguistische, germanistische und indogermanistische Studien: Rosemarie Lührgewidmet. Unter Mitarbeit von Satoko Hisatsugi. Wiesbaden: Reichert. S. 63–72.
Benecke, Georg Friedrich 1854–1861: MittelhochdeutschesWörterbuch. Ausgearbeitet von W. Müller und F. Zarncke. 3 Bde. Leipzig:Hirzel.Auch in: Burch, Thomas/Fournier, Johannes/Gärtner, Kurt (Hgg.) 2002: Mittelhochdeutsche Wörterbücher im Verbund: CD-ROM undBegleitbuch. Stuttgart:Hirzel, 2002. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
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Goebel, Ulrich/Reichmann, Oskar 1986–: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Begr. von Robert R. Anderson, Ulrich Goebel,Oskar Reichmann. Bd. 1–. Berlin u.a.: de Gruyter.
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Karg-Gasterstädt,Elisabeth u.a. 1952–: Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftr. der Sächsischen Akademie derWissenschaften zu Leipzig bearb. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und TheodorFrings. Bd. 1–. Berlin: Akad.-Verl.
Kluge, Friedrich 2002: EtymologischesWörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. ElmarSeebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Köbler AhdWb = Köbler, Gerhard:Althochdeutsches Wörterbuch, 4 Auflage, online uterhttp://www.koeblergerhard.de/ahdwbhin.html.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic,Leiden-Boston: Brill.
Lexer, Matthias von 1992: MittelhochdeutschesHandwörterbuch. Nachdruck der Ausg. Leipzig 1872–1878. Stuttgart: Hirzel.Auch in: Burch, Thomas/Fournier, Johannes/Gärtner, Kurt (Hgg.) 2002: Mittelhochdeutsche Wörterbücher im Verbund:CD-ROM und Begleitbuch. Stuttgart: Hirzel, 2002. Auch unter:www.woerterbuchnetz.de.
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Zieglerin Bock/Zeilfelder/Ziegler 2012: 261.

Autorinnen: Bettina Bockund Sabine Ziegler