Etymologie

Gaffel

Für Gaffel f., das neben der Bedeutung "Zusammenschluss von Handwerkern und Kaufleuten" auch noch für „Versammlung der Zunft; Zunfthaus; gemeinsames Mahl“ steht, wurden verschiedene Etymologien vorgeschlagen:
1. Gaffel ist niederdeutsche Variante von dt. Gabel, vgl. mndd. gaffel „Gabel“ (< vorgerm./uridg. *ĝhHbh-lo/eh2- „Gerät zum Aufnehmen, Ergreifen“, weiter siehe Gabel). Diese Etymologie wird im DRW s.v. Gaffel mit dem Verweis auf Gabel erwogen und findet sich in wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Gaffel_(Köln), gesehen am 04.06.2014; sie wird auch durch die Brauerei Gaffel verbreitet, vgl. http://www.gaffel.de/Privatbrauerei/Geschichte/5_2_Geschichte.html, gesehen am 04.06.2014.
In Köln wurde das Wort im 14. Jh. zur Bezeichnung von „Zusammenschlüssen von Handwerkern und Kaufleuten“, ausgehend von gemeinsamen Geselligkeiten. Dass die Gabel zum Symbol solcher Geselligkeiten wurde, könnte in ihrem späten Aufkommen in der frühen Neuzeit begründet sein, wobei sie zunächst vor allem als Fleischgabel, mit der man Fleischstücke aus dem Topf nehmen konnte, verwendet wurde. Das bedeutet zugleich, dass Gabeln für die meisten Menschen nicht alltäglich waren. In dem Kontext wären spezielle Kollokationen denkbar, aus etwas späterer Zeit ist z. B. zur Gabel bleiben (Christian Weise, Neue Proben von der vertrauten Redens-Kunst, Dresden, Leipzig 1700, S. 116) „zum Essen bleiben“ belegt. Bei dieser Etymologie lägen zwei Konzeptmetonymien vor: 1. INSTRUMENT – HANDLUNG, d.h. Übertragung vom „Teil des Essbestecks“ auf das „(gemeinschaftliche) Essen und Trinken“, 2. HANDLUNG – HANDELNDE(R), und damit die Übertragung vom „(gemeinschaftlichen) Essen und Trinken“ auf die „Gemeinschaft“. Dafür, dass das gemeinsame Mahl für die Semantik zentral ist, spricht die Glosse gaffel für contubernium „Tischgemeinschaft“ (wörtlich „Zeltgemeinschaft“), vgl. Diefenbach 1857: s.v. Für das historische Konzept „Gaffel“ ist zudem sekundär ein politisches Moment wichtig, das mit dem prototypischen Merkmal <FUNKTION: Entsendung von Ratsherren> verbunden ist, vgl. Gonzales Athenas 2014: 36 f.
2. Alternativ wurde eine Verbindung mit schweiz. gabelle „Abgabe“ vorgeschlagen, so z.B. bei Frisch s.v. Gafel f.; wahrscheinlich ist das in vielen weiteren Wörterbüchern zitierte „oberdeutsche“ Gaffel „Zins, Abgabe“ aber ein Ghostword, das aus dem Bemühen um eine stammwortorientierte Etymologie entstand. Für schweiz. gabelle vgl.: Aller dazien, gabellen, zöllen, fuossgëlt, so von des Herzogen von Mailand wëgen in pässen, strassen und stätten yngenommen werdent (1426, Absch, Staub u.a. 1881–:  s.v. Gabelle) „Alle Weggelder, Gabellen, Zölle, Fußgeld, die von Seiten des Herzogs von Mailand auf Pässen, Straßen und in Städten eingenommen werden“. Das Wort findet sich auch bei Schueren s.v. Gabelle mit der Bedeutungsangabe „ongelt [Abgabe]“ und der lateinischen Entsprechung gabellum. Außerdem steht dort s.v. Gaffel „Geselscap [Gesellschaft]“. Das schweiz. gabelle stellt sich zu gleichbedeutendem frz. gabelle und ital. gabella sowie mlat. gabella (alle f.). Das französische Wort wird im TLF s.v. als Übernahme aus dem Italienischen bestimmt und als Quellwort für das italienische Wort arab. qabāla „Steuer, Zins“ vorgeschlagen. Aus welcher der genannten Sprache schweiz. gabelle entlehnt wurde, ist nicht zu sicher festzustellen.
3. Gegen eine Verbindung von gabelle mit Gaffel spricht indessen, dass dieses lautlich und wortgeographisch sehr gut zu aengl. gæbul, geabul, gebil, gafol, gaful, gafel n. und mndl. gavel(e) n., die alle jeweils „Steuer“ bedeuten, passt. Auch die Semantik ist stimmig, denn dafür, dass Gaffel ursprünglich eine Steuerinstitution bezeichnete, spricht folgender früher Beleg aus Köln von 1398: dat geyn ampt noch gaffel yrre stede assyse beichten sal (DRW s.v. Gaffel) „dass kein Amt noch Gaffel ihre Stadtakzise verpachten soll“. Da das englische und das niederländische Wort daneben auch eine Bedeutung „Geschenk, Abgabe“ zeigen, liegt eine Rückführung auf urgerm. *ǥaƀ‑la‑ zu urgerm. *ǥeƀ„geben“ nahe. Doch bleibt die Wortbildung schwierig: *‑la‑ bildet neutrale Nomina instrumenti, vgl. Krahe/Meid 1967: § 87,3. Die Möglichkeit, dass es sich bei den altenglischen Belegen (seit ca. 700 in der Bedeutung „Zinsen [auf verliehenes Geld]; Abgabe“) auch um Entlehnungen aus dem Arabischen handelt, ist aus chronologischen Gründen auszuschließen. Um 700 waren die Araber noch nicht auf der Iberischen Halbinsel. Ferner stammt der Erstbeleg in einer romanischen Sprache, katal. span. alcabala „Verkaufssteuer“, erst von 1101. Später kam es durch die Mischung von volkssprachlichen und lateinischen Formen in mittellateinischen Texten zur Kontamination, vgl. die mittellateinischen Formen in englischen Dokumenten: gablum, gabulum, gavelum, gaulum. Das neutrale Genus ist aus dem Englischen übernommen oder durch Umdeutung des gleichlautenden Ausgangs von Nominativ Singular Femininum und Nominativ Plural Neutrum auf ‑a aufgekommen.  Da frz. gabelle ins Niederländische (als gabelle/gabeele f.) und Englische (als gabelle) jeweils mit der Bedeutung „Steuer, Abgabe“ entlehnt wurde, könnte das französische Wort auch Gaffel im Genus beeinflusst haben. Im Mittelniederländischen, d.h. in räumlicher Nähe zu Köln, findet sich auch gavele „Steuer“. Eine Entlehnung von Gaffel aus dem Mittelniederländischen ist daher wegen der geographischen Beschränkung wahrscheinlich, vgl. die Belege im DRW s.v. 1Gabel. . War die ursprüngliche Bedeutung von Gaffel also tatsächlich „Abgabe“, liegt ebenfalls eine Konzeptmetonymie vor: OBJEKT – INSTITUTION. Daran schließt sich wohl eine metaphorische Übertragung von der „Steuerinstitution“ auf die Institution „Handwerkerverband“ an. Gemeinsame prototypische Merkmale sind dabei <IST: lokal begrenzt> <HAT: feste Struktur> < FUNKTION: administrative Einrichtung> <BEZUG AUF: Geld> <BEZUG AUF: Menschen mit ähnlichem Beruf o. Ä.> <BEZUG AUF: Handwerker, Kaufleute>, wobei zu beachten ist, dass auch die Steuerklassen des Mittelalters in der Regel nach Beruf geordnet waren .
Fazit: Für die dritte Etymologie sprechen zwei Argumente: 1. Die Metonymie Gabel als INSTRUMENT > Gabel als HANDLUNG ist nicht zu belegen. 2. Die Sprachkontaktzone zum Mittelniederländischen, wo gavele belegt ist. Benennungsmotiv ist dabei, dass es sich um eine Institution handelt, die für eine Gemeinschaft Gelder verwaltet.

Dieffenbach 1857: Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis. E codicibus manuscriptis et libris impressis concinnavit L. Diefenbach (nach einer Hs. vom Jahre 1470). Frankfurt 1857 (Supplementum lexici mediae et infimae latinitatis) [Neudr. Darmstadt 1968].
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Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de, s.v. Gaffel.
Frisch: Frisch, Johann Leonhard 1741: Teutsch-Lateinisches Wörter-Buch … Berlin: Nicolai.
Gonzales Athenas, Muriel 2014: Kölner Zunfthandwerkerinnen 1650-1750. Arbeit und Geschlecht. Kassel. Diss. online unter: http://www.upress.uni-kassel.de/katalog/abstract.php?978-3-86219-740-8.
Krahe, Hans/Meid, Wolfgang 1967: Germanische Sprachwissenschaft. Bd. 3: Wortbildungslehre. Berlin: de Gruyter.
Oxford English Dictionary. www.oed.com,  s.v. gavel.
Schmidt-Wiegand, Ruth 1985: „Die Bezeichnungen Zunft und Gilde in ihrem historischen und wortgeographischen Zusammenhang“. In: Schwineköper, Berent (Hg.): Gilden und Zünfte: kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter. Sigmaringen: Thorbecke. (Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte; 29),  31-52.
Schueren: Schueren, Geert van der 1477: Vocabularius qui intitulatur Teuthonista. Colonia: Arnold Ter Hoernen.
Staub, Friedrich u.a. 1881–: Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Bearbeitet von Friedrich Staub, Ludwig Tobler u.a. Bd. 1–. Frauenfeld: Huber.
TLF: La Trésor de la Langue Française informatisé. http://atilf.atilf.fr.
Wartburg, Walter von 1922–2002: Französisches etymologisches Wörterbuch. Eine Darstellung des galloromanischen Sprachschatzes. 25 Bde. Tübingen, Basel: Zbinden, s.v. qabāla.

Autorin: Bettina Bock