Etymologie

Gang

Das aufgrund seiner Aussprache [gεŋ] deutlich als Lehnwort aus dem Englischen erkennbare Gang f. „organisierte Gruppe, kriminelle Bande“ ist erst im 20. Jh. übernommen worden; vereinzelte Belege finden sich aber schon im späten 19. Jh., vgl. es zeigte sich, daß das System [Ausbeutung weiblicher Arbeitskräfte durch Hungerlöhne und Prostitution] in jegliche Art von Erwerbsarbeit im Land Eingang fand. Selbst auf den Ackerbau fand es in dem „Gang-system“ Anwendung (Brentano, 1883, Christl.-soziale Bewegung 39; Schulz/Basler s.v. Gang). Etymologisch schließt das Wort an nhd. Gang an (siehe unten). Der Bedeutungswandel erfolgte im Englischen: Engl. gang ist seit dem 16. Jh. zuerst regional als Bezeichnung für „Gruppe, Zusammen­schluss von Menschen“ bezeugt, vgl. Anent the keping of Liddisdaill; for answer thairto, Robert Ellot, younger, for his gang, and Thomas Armestrang ... for his gang (OED s.v. gang, Beleg von 1553). Seit Anfang des 18. Jh.s findet sich dann auch speziell „or­ganisierte Gruppe von Verbrechern“, vgl. Supposed to be concerned with a Gang of House-breakers (OED s.v gang, Beleg von 1701). Das Wort engl. gang gehört zu ahd. gang, aisl. gangr, afries. gång, gung, mndl. gang, got. gagg, alle „Gang, Gehen, Bewegung, Schritt, Weg“ und somit etymologisch zur uridg. Wurzel *ĝhengh- „gehen, schreiten“ (LIV²: 175f.), die mit uridg. *ĝheh1- „zurücklassen“ oder eher *gheh1- „kommen, erreichen“ ein Suppletivparadigma nhd. gehen (ahd. mhd. gān, gēn, < *gheh1-) ging, gegangen (<*ĝhengh-) bildet (vgl. die ausführlichen Artikel gang und gangen in EWA IV). Neben der n-haltigen Form steht gehen, ahd. mhd. gān und gēn. Die Bedeutungsüber­tragung von „Gang“ auf „Gruppe von gemeinsam Gehenden“ ist nur in einigen nördlichen Regiolekten des frühen Neu­englischen eingetreten (vgl. OED s.v. gang); es liegt ein seltener Fall einer se­man­­tischen Ent­wicklung ABSTRAKT > KONKRET vor. Aufgrund der Beleglage ist es denkbar, dass im Nord­englischen eine semantische Angleichung an irische bzw. schottische Wör­ter wie aidbden u, f. „Gehen, Gang, Führen; Bande, Truppe“, dírimm i, f. „Kurs, Gang, Weg; Angriff; Bande, Truppe, Schar“, immirge iā, f. „Gehen, Gang, Wan­derung; Truppe, Schar“ oder am ehesten fían ā, f. „Jagen, Laufen; Krieger­schar, Trup­pe“ stattgefunden hat, in denen sich jeweils ausgehend von einem femininen Verbalab­strak­tum „das Gehen, das Laufen o.ä.“ jeweils ein Konkretum „Gruppe von Leuten, die in dieser Handlung vereint sind“ entwickel­te (s. DIL s.vv aidbden, dírimm, fían und immirge). Ir. fían (Pl. fianna; zu den Fianna in der irischen und schottischen Mythologie und Geschichte siehe z.B. Patterson 1994: 122-123) ist dabei ein sehr prominentes Wort, das durchaus als Vorbild für das Englische gedient haben mag, da es auch häufig – wie etwa das irisch-schottische Wort clan – im Namen der Krieger­gemeinschaft verwendet wurde, z.B. in fianna Find „Finns Bande“, fianaib (D.Pl.) Maic Con „mit den Truppen des Mac Con“ (DIL s.v. fían). Im Detail sind folgende Übertragungen anzunehmen: „Gang“ > „gemeinsamer Gang zu einem bestimmten Ziel“ (taxonomische Unterordnung) > „Gruppe, die einen zielgerichteten Gang zusammen macht; Arbeitskolonne“ (Metonymie HANDLUNG > HANDLUNGSTRÄGER/PERSONENGRUPPE) > „organisierte Bande“ (kotaxonomische Similarität). Benennungsmotiv ist also das zielgerichtete Handeln einer Gruppe. Mit der Bedeutung „organisierte Bande“ wurde das Wort dann aus dem Amerikanisch-Englischen ins Deutsche entlehnt.

DIL: Dictionary of the Irish Language. Electronic version: http://www.dil.ie/.
EWA: Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Kluge, Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.v. Gang.
LIV²: Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert-Verlag, 175f.
OED: Oxford English Dictionary. www.oed.com.
Patterson, Nerys 1994: Cattle Lords and Clansmen: the Social Structure of Early Ireland, Chicago: University of Notre Dame Press.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.v. 2Gang
Schulz/Basler: Schulz, Hans/Basler, Otto 1995–: Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig neubearb. im Inst. für Deutsche Sprache. Bd. 1–. Berlin, New York: de Gruyter.

Autorinnen: Bettina Bock/Sabine Ziegler