Etymologie

Genossenschaft

Genossenschaft, eine Ableitung mit dem Kollektivsuffix ‑schaft < ahd. ‑skaf(t) zu Genosse m. „Gefährte, Begleiter; Mitglied, Kampfgefährte in einer (sozialdemokratischen) Arbeiterpartei“, geht auf ahd. ginôzskaf(t) f. (i-St.) „Gemeinschaft, Gefolge, Zusammenhang, Verbindung“ (8. Jh.) zurück. Genosse setzt seinerseits ahd. ginôzo m. (n-St.) „Genosse, Gefährte, Jünger“ (9. Jh.) fort. Dies wiederum ist eine Ableitung mit individualisierendem n-Suffix zu ahd. ginôz m. (a-St.) „Genosse, Gefährte, Mitstreiter, Mitbewerber, Jünger“ (8. Jh.). Ahd. ginôz führt zusammen mit asächs. ginōt, mndd. genōt, mndl. genoot und aengl. genēat auf urgerm. *ǥa-naṷta- m. zurück, eine Soziativbildung auf der Basis eines Possessivkompositums zu urgerm. *naṷta- n. „Vieh, wertvolle Habe“ mit der Ausgangsbedeutung: „der das gleiche Vieh hat, der das Vieh gemeinsam hat“. Urgerm. *naṷta- (vgl. anord. naut n., aengl. nēat n., engl. neat, afries. nāt, asächs. nōt, ahd. nōz n. [8. Jh.], mndl. noot, alle „Nutzvieh, Rind, Schlacht-, Zug-, Lasttier“) ist wohl weiter mit urgerm. *neṷt-a- „genießen“ (> ge-nießen) zu verbinden. Verwandte Bildungen sind lit. naudà „Nutzen, Vorteil, Gewinn, Besitz, Vermögen“, lett. nauda „Nutzen, Habe, Geld“ zu der Wurzel uridg. *neṷd- „nutzen“; vgl. die Rechtstermini Nießbrauch m. und Nießnutz m., beide als Lehnübersetzung von lat. ususfructus „Recht auf Nutzung fremder Gegenstände, Grundstücke, Rechte o. Ä.“, sowie Nutznießer m. „jemand, der Vorteil aus etwas zieht, was eigentlich ein anderer vorbereitete hat“. Das Benennungsmotiv für die Genossenschaft ist damit der gemeinsame Besitz.
Die ursprüngliche Bedeutung von Genossenschaft war bis ins 17. Jh.: „Verbindung, Gemeinschaft, Gesellschaft, Gesamtheit von Standesgenossen“, vgl. bäuerliche Genoßschaft, Eidgenoßschaft. Das Wort fungierte dabei auch als Hyperonym zu anderen Bezeichnungen von Gemeinschaften, vgl.: genoskeft aller guoten (12. Jh. MSD. 89, 291, DRW s.v. Genossenschaft) „Genossenschaft aller Guten“ und in der gnozschaft, in der ich koufman bin genant (oJ. GGerhard 3132, DRW s.v. Genossenschaft) „in der Genossenschaft, in der ich Kaufmann bin“. Als Bezeichnung für „Gemeinschaften von Menschen mit gleichem oder ähnlichen Beruf auf der Basis gemeinsamer (wirtschaftlicher) Interessen“ erscheint das Wort erst in der Mitte des 19. Jh.: Die traurige Lage, in die durch mehrjährige Fehlherbste die weinbautreibende Bevölkerung in den Moselgegenden versetzt worden ist, hat dort zu Gründung von Winzergenossenschaften geführt (Die Weingärtner-Vereine, Wochenblatt für Land- und Forstwirthschaft Nr. 29, 1855).

DRW: Deutsches Rechtswörterbuch. http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/.
EWA: Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, s.vv.ginôz, ginôzo, ginôzskaf(t).
Kluge, Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.v. Genosse.
Lühr, Rosemarie 2000: Die Gedichte des Skalden Egill. Dettelbach: Röll. (Jenaer indogermanistische Textbearbeitung; 1), 319.
LIV: Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert-Verlag, s.v. 1. neṷd-.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.v. Genosse.

Autorin: Bettina Bock