Gesellschaft
Gesellschaft ist ein
Kollektivum mit dem Kollektivsuffix ‑skaf(t) zu Geselle m. „Facharbeiter, Handwerksbursche, Kamerad“ < ahd. gisello m. (jan-St.) „Gefährte, Freund,
Begleiter, Kollege, Mitstreiter“ (8. Jh.) (vgl. auch mndd. geselle,
mndl. Geselle), das wiederum
ein altes Possessivkompositum im Sinne einer Soziativbildung zu Saal (s. dort) ist: *„jemand, der das
gleiche Haus hat, der im gleichen Haus (Saal) wohnt“ > „Gefährte“, ab
mittelhochdeutscher Zeit speziell „Handwerksgeselle“. Ursprüngliches
Benennungsmotiv für Gesellschaft ist
demnach das Zusammenleben.
Gesellschaft, ahd. giselliskaft
f. (i-St.) „Bekanntenkreis, Gemeinschaft, Vereinigung,
Freundschaft, Verbundensein“ (9. Jh.), mhd. geselleschaft f. „Gemeinschaft, Vereinigung,
Genossenschaft; fürstliches Gefolge; Freundschaft, Verbundensein, Liebe“, wurde
im 15. Jh. weiter auf „die in Gruppen gegliederte menschliche
Gemeinschaft“ (Pfeifer ebd., vgl. societas
humana, burgerlich gesellschaft [Melber y 2b, um 1480, DWb s.v. Gesellschaft]) bezogen. Diese
Übertragung zeigt sich seit dem 18. Jh. auch in der Kollokation die
(gute/bessere/beste) Gesellschaft „durch Stand, (adlige) Geburt oder
Bildung verbundene Bevölkerungsschichten“, vgl. der einflusz der societät auf die schriftsteller nahm immer mehr
überhand: denn die beste gesellschaft, bestehend aus personen von geburt, rang
und vermögen, wählte zu einer ihrer hauptunterhaltungen die literatur
(Goethe 26, 59, DWb s.v. Gesellschaft). Gesellschaft
geriet dabei in Synonymenkonkurrenz mit Staat,
vor allem in der Kollokation politische
Gesellschaft (o. ä.),
vgl. als die Meder den Dejoces zu ihrem
könige machten, so waren sie schon ein volk, schon eine formirte politische
gesellschaft (Schiller IX, 143, 16, DWb s.v. Gesellschaft); im siebenten
geschlecht war die polizirte gesellschaft Kains (die bürger der ersten burg,
unter der herrschaft Kains die erste bande), die gepflanzte stadtzucht schon so
weit, dasz die vielweiberei entstehen und auf einmal drei- bis vierfach die
kunst sprossen konnte (Herder z. theol. 6, 214, DWb s.v. Gesellschaft). Seit dem 16. Jh. ist
die Anwendung auf die „Gesamtheit der Menschen im Zusammenleben“ bezeugt, vgl. menschliche Gesellschafft bei
Melanchthon (Neuwe vollkommene Chronica, Frankfurt am Main 1566, 1, Buch, Kapitel
V) und ohne den adjektivischen Zusatz man
(ich) will .. bemerken, dasz die rechte verstandesübung sich finde nicht nur
zwischen lehr- und lernenden, sondern auch vornehmlich im gemeinen leben unter
der groszen lehrmeisterin, nehmlich der welt, oder gesellschaft, vermittelst
der sprache, so die menschlichen gemüther zusammen füget (Leibniz in
Wackernagels leseb. 3, 994, DWb s.v. Gesellschaft). Im 19. Jh. kommt als weitere
Bedeutung, zunächst als Fachterminus der politischen Ökonomie, „Gesamtheit der
in Klassen gespaltenen, in (naturgegebenen) Produktionsverhältnissen lebenden
Menschen“ hinzu, vgl. Noth der niederen
Klassen der Gesellschaft (Julius Berends, Hebung der Noth der arbeitenden
Klassen, Leipzig 1845, S. 11).
DWb: Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und
Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999:
Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der
digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter:
www.woerterbuchnetz.de.
EWA: Lloyd, Albert
L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, s.vv. giselliskaf(t), gisello.
Kluge,
Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch
der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24.,
durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.v. Geselle.
Pfeifer: Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen.
2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.v. Geselle.
Autorin: Bettina Bock