Innung
Innung ist in der Bedeutung „Zusammenschluss von Handwerkern“
seit dem 12. Jh.
belegt, vgl. ne
alienigene opus suum operatum ad forum deferant nisi cum omnium eorum
voluntate, qui iure illo, quod inninge appellatur participes existent. (1157
Magdeburg/Inama, WG. II 323, DRW s.v. Innung)
„sie sollen keine fremde Handwerkstätigkeit auf dem Markt anbieten, außer mit
der Zustimmung all derer, die in jener Schwurgemeinschaft, die Innung genannt
wird, Mitglieder sind“. Es handelt sich ursprünglich um ein Nomen actionis/rei actae zu
dem Verb ahd. innōn „aufnehmen“, reflexiv „sich einreihen, sich
zugesellen, sich vereinigen“ (um 1000), mhd. innen „haben, besitzen,
aufnehmen, erinnern“, reflexiv „sich anschließen, innig verbinden“, ein
deadverbiales Verb zu ahd. inne „drinnen,
innen, innerlich“. Das seit dem 8. Jh. belegte ahd. Wort inne geht
auf urgerm. *ennē oder *ennai̯ zurück, Bildungen, die wohl erstarrte Kasusformen – entweder
Instrumental vorgerm. *en-neh1
oder Lokativ vorgerm. *en-noi̯ – eines sekundär zum Adverb uridg. *(h1)en „innen; hinein“ gebildeten
Adjektivs mit Suffix -no- sind.
Mhd. inninge/innunge
hat Entsprechungen in anderen germanischen Sprachen: anord. inning „Vollendung, Ausführung“, aengl. innung „Inhalt, Einkommen, Fülle,
Wohnung“, afries. inninge „Einforderung“,
mndd. inninge „Innung, Aufnahme“. Für
das Altenglische vgl. Se heofon is
betera and fægera ðonne eall his innung búton monnum ánum ‘the heaven is better and fairer than all it
includes, except men only’ (Bt. 32, 2; Fox
116, 10; Bosworth
020661) „der Himmel ist
besser und schöner als alles, was darin ist, ausgenommen allein der Mensch“;
Ðes tunes cýping and seó innung [the getting in, or revenue ?] ðara portgerihta gange into ðere hálgan stówe ‘villæ mercimonium censusque omnis civilis sanctæ æcclesiæ deserviat’ (Cod. Dipl. Kmbl. iii. 138, 10; Bosworth
020661) „Markt der Stadt
und das, was dazu gehört an Stadtabgabe, soll an die heilige Kirche gehen“; Mín is eall eorðan ymbhwyrft, and eall hyre
innuncg ‘meus est orbis terras, et
plenitudo ejus’ (Ps.
Th. 49, 13. II. lodging, v.
innian; Bosworth 053971) „mein ist der Erdkreis und alles, was darin
ist“;
On geþances his wununge
innunge hé gearwað Críste ‘in mentis
suae hospitio mansionem preparat Christo’ (Scint. 11, 18; Bosworth 053971) „in der Wohnung seines Geistes bereitet er Christus eine Bleibe“.
Es ist ein urgermanisches Verbalabstraktum *enn-inǥō‑/‑unǥō‑
zu einem deadverbialen Verb urgerm. *enn-ian-,
vgl. anord. inna „hersagen, reden,
erklären; ausführen; bezahlen“ (wobei hier vielleicht
ursprünglich zwei unterschiedliche Verben vorliegen), aschwed. inna
„ausrichten, erwerben“, aengl. geinnian
„eingehen, beherbergen; einschließen, füllen; wiederherstellen“, afries. innia „beherbergen, einschließen“, mndd.
innen „hineinbringen, sich aneignen“
und eben ahd. innôn. Dass das
Substantiv fürs Althochdeutsche nicht bezeugt ist, muss dann als Zufall der
Überlieferung gewertet werden. Das Verb weist nach den ältesten Bezeugungen und
nach Etymologie und Wortbildung auf eine Grundbedeutung „eingehen lassen,
hineingeben“, das Verbalabstraktum entsprechend auf die Bedeutung „das
Hineingeben; das Hineingegebene“. Die Bedeutungsentwicklung zur „Vereinigung
von Handwerkern“ stellt demnach eine spezielle mittel- und niederdeutsche
Bedeutungsentwicklung dar. Ausgehend von der Grundbedeutung „das Hineingeben“
kann man annehmen, dass wie bei „Gilde“ der finanzielle Beitrag zur
Gemeinschaftsbildung das Benennungsmotiv ist, vgl. dazu die im Altnordischen
bezeugte Bedeutung „bezahlen“ für das Verb inna.
Die allgemeinere Bedeutung „Vereinigung“ ist nicht so gut belegt. Diese
Bedeutung findet sich einmal im Mittelhochdeutschen, vgl. si hât mit êrlîcher kraft des himels innunge (Pass. 248,60, BMZ
s.v. innunge) „sie hat mit ehrlicher
Kraft des Himmels Vereinigung“. Sie ist aber auch noch im Älteren Neuhochdeutschen
bezeugt, vgl. nun halt, o
liebende gesinnung,/ die ring in unzerbrochner innung
(Rückert 226, DWb s.v.). Der spezielle Bezug auf Handwerker erklärt
auch, warum das Wort erst im 12. Jh. in dieser Bedeutung erscheint:
Während Kaufmannsvereinigungen, d.h. Gilden
(siehe dort), schon länger üblich waren, sind Handwerkervereinigungen eine
jüngere Erscheinung, vgl. auch die Bedeutungsentwicklung von Zunft (siehe dort). Neue Städte
entstanden nämlich im frühen Mittelalter östlich des Rheins in der Regel zunächst
als Marktflecken, d. h.
Ansiedlungen von Kaufleuten; Handwerker folgten. Das folgende Szenario (nach
Sprandel 1985: 28) verdeutlicht die Entwicklung: Es entsteht ein
Marktflecken, der zugleich auch kirchliches Zentrum der Region ist und damit
entsprechend viele Menschen anzieht, zu deren Versorgung und um den
Handelsplatz auszudehnen, auch Handwerker nötig sind. Den Anfang machten dabei
wohl Handwerker der Lebensmittelbranche, 977 in Minden die Fleischer, die im
Gefolge auch eine eigene Gruppe im Gemeinwesen bildeten und damit die Grundlage
für eine spätere Zunft bzw. Innung. Zugleich erklärt sich so, dass Innung und Gilde ursprünglich
nicht synonym waren, sondern es erst mit der Ausdehnung der Bezeichnung Gilde auf Handwerker wurden.
BMZ: Benecke,
Georg Friedrich 1854–1861: Mittelhochdeutsches
Wörterbuch. Ausgearbeitet von W. Müller und F. Zarncke. 3 Bde. Leipzig:
Hirzel. Auch in: Burch, Thomas/Fournier, Johannes/Gärtner, Kurt (Hgg.) 2002: Mittelhochdeutsche Wörterbücher
im Verbund: CD-ROM und Begleitbuch. Stuttgart: Hirzel, 2002. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Bosworth: Bosworth, Joseph/Toller, T. Northcote
1898–1921: An Anglo-Saxon Dictionary based on the manuscript collections of the
late Joseph Bosworth. Edited and enlarged by T. Northcote Toller.
Oxford: Oxford University Press, online unter http://bosworth.ff.cuni.cz/.
DRW: Deutsches
Rechtswörterbuch. http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/.
DWb: Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und
Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999:
Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der
digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter:
www.woerterbuchnetz.de.
EWA: Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des
Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, s.vv. in, inne,
innôn.
Kluge,
Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch
der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24.,
durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.v. Innung.
Pfeifer, Wolfgang
(Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des
Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.v. Innung.
Sprandel,
Rolf 1985: „Handel und Gewerbe vom 6.-11. Jahrhundert“. In: Schwineköper,
Berent (Hg.) 1985: Gilden und Zünfte:
kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter.
Sigmaringen: Thorbecke. (Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für
Mittelalterliche Geschichte; 29), 9–30.
Autorin: Bettina Bock