Lavabo
Lavabo n. ist in den Bedeutungen „Waschbecken“ (so vor allem im schweizerischen Deutschen, selten auch im Deutschlanddeutschen
gebraucht, z.B. Es folgen der Ausziehtisch, ein rotes Plüschsofa,
Kleiderschrank, Bettgestell und vieles andere mehr, darunter auch ein
Waschtisch mit Lavabo, eine Schüssel und eine Kanne aus Porzellan für die
Morgen- beziehungsweise Abendtoilette, www.kreiszeitung.de, 1.8.2011) und
„liturgisches Händewaschen des Geistlichen in der Messe“ bezeugt. Lavabo
ist eine 1.Sg.Ind.Fut. „ich werde waschen“ nach den lat. Anfangsworten von Ps.
26,6, der bei der Handwaschung gebetet wurde: lavabo in innocentia manus meas et
circuibo altare tuum Domine „Ich werde meine Hände in Unschuld waschen und,
Herr, Deinen Altar umschreiten“ (http://www.bibleserver.com/text /EU/Ps alm26). Es
handelt sich um ein junges Lehnwort (die frühesten ermittelbaren Belege stammen
aus dem 20. Jh., DWDS s.v. Lavabo) aus frz. lavabo m. „liturgisches
Händewaschen des Geistlichen in der Messe“ und „Waschbecken“. Von der Handlung
des Händewaschens fand eine Übertragung auf den Ort oder das Gerät des
Händewaschens statt („engynomische Relation“ im Bereich der konzeptuellen Kontiguität (Blank
2001: 43f.).
Lavabo „Waschbecken“ hat eine ungewöhnliche Etymologie: Es handelt sich um eine 1. Sg. Ind. Fut. Akt. „ich
werde waschen“ eines lateinischen Verbs lavare „waschen“, das zu der
gut bezeugten uridg. Wurzel *leh3- „dss.“ gehört (De
Vaan 2008: 330f., LIV² s.v.). Auffällig
und morphologisch sowie grammatikalisch ungewöhnlich ist die Umwandlung einer
Verbform in ein Nomen mit einer konkreten Bedeutung „Waschbecken“. Diese
Umwandlung ist im modernen Französischen eingetreten und wurde vor allem in das
schweizerische Deutsche und einige süddeutsche Dialekte übernommen. Ausgangspunkt
ist die Verwendung des Wortes lavabo in
Psalm 26,6 (siehe oben). Bei diesem Psalm wird in
Ritualen gleichzeitig auch die Handlung des Händewaschens durchgeführt.
Dadurch ergibt sich als erste Bedeutung „liturgisches
Händewaschen des Geistlichen in der Messe“; das erste Wort des während der
Handlung rezitierten Psalmverses wird auf die Handlung selbst übertragen. Nur
wenige andere Wörter zeigen eine vergleichbare Entwicklung: Credo, Kredo
„Glaubensbekenntnis“ ist der Anfang des christlichen Glaubensbekenntnisses
und eine 1. Sg. Ind. Prs. Akt. „ich glaube“ vom lateinischen Verb crēdere
„glauben, vertrauen“. Das erste Wort wurde als „Titel“ für das ganze Glaubensbekenntnis
verwendet; auch der Teil der Messe, in dem das Credo gesprochen wird, kann
damit bezeichnet werden. Inzwischen ist Credo, Kredo sogar ein
aus dem religiösen Kontext herausgelöstes bildungssprachliches Synonym für
„öffentlich geäußerte Meinung, Ansicht; Motto, Leitsatz“ (In
der Öffentlichkeit dröhnt das Credo: Mehr vom selben. Noch weniger
Staat, noch niedrigere Löhne, noch mehr Standortwettbewerb. (Die Zeit vom 7.11.1997, nach DWDS s.v. Credo).
Die Handlung des Händewaschens erfordert ein Gerät
oder einen Ort, mit dessen Hilfe oder an dem diese Handlung vollzogen werden
kann. Von der Handlung findet somit ein weiterer Bedeutungswandel in Form einer
metaphorischen Übertragung auf das Gerät oder den Ort des Händewaschens statt.
Diese anhand der Sachgeschichte nachweisbare semantische und morphologische
Entwicklung zeigt, wie Bedeutungswandel und Lexikalisierung im Extremfall in
einem einzigen sehr eng begrenzten Kontext vor sich gehen kann. Übertragungen
von einer Handlung auf den Ort oder eine Gerätschaft der Handlung sind des
öfteren nachweisbar, vgl. etwa ahd. biot „Tisch“ < *„Ort des
Anbietens“ < *„Handlung des Anbietens“, ahd. restī, restīn „Ruhe, Friede, Ruhetag; Ruhestätte, Bett, Lager“ mit den parallel vorhandenen Bedeutungen „Handlung des
Ausruhens“ und „Ort des Ausruhens“ und nhd. Ablage, das zuerst nur die
„Handlung des Ablegens“ bezeichnet und erst im Älteren Neuhochdeutschen den
„Ort der Ablage“.
Literatur:
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7).
DWDS = Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20.Jahrhunderts. www.dwds.de.
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
LIV = Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen.
Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb.
von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2.,
erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix.
Wiesbaden: Reichert.
Autorin: Sabine Ziegler