Lehenschaft
Lehenschaft zeigt im
18. Jh. eine metonymische Übertragung vom „übertragenen Gut, speziell
einem lokalen Bereich in einem Bergwerk“ auf die Personengruppe dar, die damit
„belehnt“ wurde, d.h. das Benennungsmotiv ist das
gemeinsame Eigentum:
-
lehnschafft
oder lehnschacht, wird bey denen berg-wercken genannt, wenn drey oder vier
personen, zum unterscheide einer gewerckschafft, eine zeche mit einander bauen (1737 Zedler
XVI 1459, DRW s.v.)
-
Die Lehenschaft, oder
Lehnschaft, plur. die -en, ein
besonders im Bergbaue übliches Wort. […] Auch die Gewerken oder Personen,
welche sich zur gemeinschaftlichen Anbauung eines Bergwerkes mit einander
verbinden, werden zuweilen eine Lehenschaft genannt. (Adelung
s.v. Lehenschaft)
-
lehenschaft, f. […] endlich die genossenschaft der bei einem bergwerk
als eigenlehner betheiligten personen. (Veith bergwörterb.323,
DWb s.v.).
Begünstigend
für diese semantische Verschiebung mag dabei das Suffix ‑schaft gewirkt haben, das auch der Bildung von Kollektiva aus
Personen dient, vgl. etwa Bruderschaft,
Genossenschaft usw.
In Lehenschaft, belegt seit dem
13. Jh. (mhd. lêhenschaft f.),
dient ‑schaft hingegen zur Bildung
eines Kollektivums von Lehen. Dieses
Wort ist schon früh bezeugt: ahd. lêhan st. n. (a-St.) „Lehnsgut, Schenkung,
Darlehen, Zinsen, Gewinn, geschuldete Leistung, Schuldenlast“ (Ende des
8./Anfang des 9. Jh.). Es ist ein die feudale mittelalterliche
Gesellschaft kennzeichnendes Konzept; die mittellateinische Entsprechung feodum n. bildet den Ausgangspunkt für
die Epochenbezeichnung Feudalismus (um
1800) < frz. féodalité
(17. Jh.). Dieses feodum
(9. Jh., auch: feudum [Anfang
11. Jh.]) ist eine Kontamination zweier frühmittelalterlicher Termini:
mlat. fe(v)um n. „Lehen“
(10. Jh.), Latinisierung von urgerm. *feχu
„Vieh, Besitz“, vgl. ahd. fihu st. n.
(u-St.), und mlat. al(l)od(i)um n. (älter: al[l]odis f. und alodus) „Eigentum, eigenes Gut“ (latinisiert wohl aus ahd.
[ostfrk.] alôdi
n. [ja-St.] „Hinterlassenschaft, Nachlass
an vererbbarer Habe“), vgl. auch die Variante fevodium. Vom Nomen abgeleitet ist das Zugehörigkeitsadjektiv
mlat. feodalis/feudalis (10. Jh.),
das im 17. Jh. in lateinischer Form im Deutschen auftaucht, Anfang des
18. Jh. dann als Lehnwort.
Ahd. lêhan hatte bereits in der Vorstufe
des Germanischen eine rechtssprachliche Bedeutung: urgerm. *lai̯χu̯na- n. (asächs. lēhan „Gabe, Lehen“, mndd. lēen „nach Lehnsrecht verliehener
Besitz, Pfründe, Berechtigung, Zunftrecht“, frühmndl. leen n. „Lehen“, afries. lēn
„nach Lehensrecht verliehener Besitz, Pfründe, Amt, Geliehenes“, aisl. lán „Lehen, Geliehenes, Glück“) <
vorurgerm. *loi̯ku̯no‑ n.
„überlassenes Gut“ (vgl.
aind. rékṇas- n.
„Besitz, Eigentum, Habe“), Nomen rei actae mit dem Fortsetzer des Suffixes
vorurgerm. *‑no- < urgerm. *‑na‑
(vgl. Krahe/Meid 1967: 106) zum Verb ahd. lîhan
von der der Wurzel uridg. *lei̯ku̯- „zurücklassen“.
Adelung: Adelung, Johann
Christoph 1793-1801: Grammatisch-kritisches
Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Leipzig. Elektronische Volltext- und Faksimile-Edition nach der Ausgabe
letzter Hand. Berlin: Directmedia 2004. (Digitale Bibliothek 40). online unter
http://woerterbuchnetz.de/Adelung/.
DRW: Deutsches
Rechtswörterbuch. http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/,
s.vv. feudum, Lehenschaft.
DWb: Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm
1854–1954: Deutsches Wörterbuch.
Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der
Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch
als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch
unter: www.woerterbuchnetz.de.
EWA: Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des
Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,
s.vv. alôdi, fihu, lêhan, lîhan.
Kluge,
Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch
der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24.,
durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.vv. feudal, Lehen.
Krahe, Hans/Meid, Wolfgang
1967: Germanische Sprachwissenschaft.
Bd. 3: Wortbildungslehre. Berlin: de Gruyter.
NIL = Wodtko, Dagmar S./Irslinger,
Britta/Schneider, Carolin 2008: Nomina im
indogermanischen Lexikon. Heidelberg: Winter, 452 f.
Pfeifer, Wolfgang
(Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des
Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.vv. feudal, Lehen.
Schulz, Hans/Basler, Otto
1995–: Deutsches Fremdwörterbuch.
Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Aufl., völlig
neubearb. im Inst. für Deutsche Sprache. Bd. 1–. Berlin, New York: de Gruyter, s.v. feudal.
Autorin: Bettina Bock