Etymologie

Meineid

Meineid „Eid, mit dem wissentlich, vorsätzlich etwas Unwahres beschworen wird“, ein Kom­­­positum aus ahd. mein n. (a-St.) „Frevel, Übeltat, Schande, Verbrechen“ und ahd. eid m. (a-St.) "Schwur, Eid" (zu Eid siehe dort) , ist bereits in ahd. meineid „falscher Eid“ bezeugt. Dort bedeutet mein n. a-St. „Verbrechen, Frevel, Sünde“ (frnhd. noch bis ins 16. Jh. in der Formel mein und mord „Verbrechen und Mord“ bezeugt, vgl. EWA VI s.v. mein) und stammt zusammen mit asächs. mēn st.n. „Frevel, Übeltat, Ver­brechen, Sün­de; Meineid“, mndd. in, mēn-, nndl. mein- in meineed „Meineid“, afries. mēn n., nwestfries. mein- in meineed, aengl. mán n. „Frevel, Verbrechen, Bosheit, Schuld, Sünde; Meineid“, aisl. mein n. „Schaden, Hindernis“ < urgerman. *mana‑ < uridg. *(h2)mo-no-. Das Wort gehört zur uridg. Wurzel *(h2)me- „wechseln, tauschen; än­dern“. (Zum möglichen Ansatz eines Laryngals vgl. LIV²: 426 Anm.1 und EWA VI s.v. mein1, das dazu noch griech. améibō „wechseln, tauschen“ < uridg. *h2meg- (EWAia II: 315 folgend) hierher stellt; eine selbständige Wurzel nehmen dagegen LIV²: 279 und Beekes 2009: 85f an. Es ist denkbar, dass sich die beiden uridg. Wurzeln *h2meg- und *me- aufgrund ihrer semantischen Ähnlichkeit vermischt haben und dadurch einzelne Fälle von Laryngalreflex (z.B. aind. apāmítya- „Schuld, Geliehenes“ aus urind. Transponat *apa-Hmíta-) auch in der Wurzel *me- auftreten. Vgl. noch Kroonen 2013: 348 und unten die Bemerkungen zu tauschen/täuschen). 
Zu der uridg. Wurzel *(h2)me- „wechseln, tauschen; ändern“ ge­hört fer­­ner das Adjektiv gemein, dessen Denotationsbreite im Neuhochdeutschen von „ge­meinsam“ und „allgemein, durchschnittlich“ über „frech, unverschämt“ bis „bös­­artig“ reicht; ahd. gimein(i) hat die ursprünglichen Bedeutung „gleich, gegenseitig, gemeinsam“ (EWA IV s.v. gimein(i)).
Eine ähnliche Bedeutungsentwicklung „tauschen, handeln“ > „betrügen, Übles tun“ liegt in täu­schen (< mhd. tiuschen „handeln; betrügen“), einer Nebenform von tau­schen, vor. Die Form täuschen hat sich im Frühneuhochdeutschen auf die Bedeutung „betrügen“ eingeengt. Im Mittelhochdeutschen ist auch noch die ältere Bedeutung „tauschen, handeln“ bezeugt, vgl. die leute wol teuschen unde leichen „die Leute treiben gern Handel und tanzen“ (Wiener Osterspiel, 14. Jh., nach BMZ s.v. tûsche). Ein altes Kompositum ist dt. Rosstäuscher eigtl. „Pferdehändler“, das auch als Rosstau­scher, mhd. rostûschære bezeugt ist (BMZ s.v. rostûschære) und dort ebenfalls schon eine sehr negative Konnotation aufweist, vgl. etwa lüge var in einen rostûschær (Seifried Helbling, etwa 1283-1299, nach BMZ), und das davon gebildete Verb rostiusche, rostûsche „verhalte mich wie ein Rosstäuscher = lüge, betrüge“, etwa in hœrt er daʒ ir einer lüge, hovelîch er in des enzüge, spreche „vil lieber herre mîn, lât iwer rostûschen sîn“ (Seifried Helbling, nach BMZ). – Mhd. tûschen „tauschen“ und tiuschen „tau­schen, betrügen“ sind erst im Mittelalter aus dem niederdeutschen in den hochdeutschen Sprachraum übernommen worden (EWD s.v. tauschen; von Bahder 1925: 42f.); einem niederdeutschen t- müsste lautgesetzlich ein hoch­deut­sches z- entspre­chen (wie in nddt. tīd : nhd. Zeit). Das innerhalb der germanischen Sprachen isolierte Verb nddt. tūschen, tūsken (vgl. Brem.-Niedersächs. Wb s.v. tuusken und Schiller-Lübben s.v. Tūsch) „tauschen, handeln; betrügen“ < urgerman. *tūske/a- kann auf eine uridg. Wurzel *deh3- „geben“ (LIV²: 107) mit -sk-Suffix (das u.a. Iterativität ausdrückt) zurückgeführt werden.
Die Bedeutungsent­wicklung beider Wörter verliefe dann von „immer wieder geben, wechselseitig geben“ zu „tauschen, handeln“ und dann weiter zu „betrügen“. 

Literatur:
Beekes, Robert S.P. 2009: Etymological Dictionary of Greek. Amsterdam: Brill. 
Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Karg-Gasterstädt, Elisabeth u.a. 1952–: Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftr. der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings. Bd. 1–. Berlin: Akad.-Verl.
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
EWAia = Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
BMZ = Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866. Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
LIV = Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Reichert.
von Bahder, Klaus: von Bahder, K. Zur Wortwahl in der frühneuhoch­deut­schen Schriftsprache. Heidelberg 1925. 
 
Autorin: Sabine Ziegler