Etymologie

Moral

Moral f. „Gesamtheit, der in einer Gesellschaft geltenden sittlichen Normen und Regeln; sittliches Empfinden; Sittenlehre; sittliche Lehre aus einem Beispiel“ wurde im 16. Jh. aus frz. morale entlehnt, das lat. mōrālis „die Sitten betreffend, ethisch“ fortsetzt, und zeigt anfänglich auch noch die französische Schreibung,vgl. den Beleg von Thomasius (s. unten). Das lateinische Wort ist eine Adjektivableitung zu lat. mōs, mōris m. „Sitte, Gewohnheit, Brauch, Wille“ (dazu siehe de Vaan s.v.). Dieses Wort ist in der Redewendung jemandes Mores lehren mit Mores als Plural (belegt seit dem 16. Jh.) im Deutschen zu finden.
Mit dem Adjektiv mōrālis haben schon die Römer dieses Teilgebiet der Philosophie bezeichnet, vgl. quia pertinet ad mores, quos ἤθη Graeci vocant, nos eampartem philosophiae de moribus appellare solemus. Sed decet augentem linguam Latinam nominare moralem „weil es zu den Sitten (mores) gehört, die die Griechen ἤθη [vgl. Ethos,B.B.] nennen, pflegen wir dieses das Teilgebiet der Philosophie über die Sitten (demoribus) zu nennen. Aber besser ist es auf Latein von moralisch (moralem) zu sprechen“ (Cicero, De fato 1,1), daran anschließend: mores appellantur, atque inde pars quoque illa philosophiae ἠθική moralis est dicta „Sitten werden sie genannt, und von daher heißt auch jener Teil der Philosophie Ethik/Moral“ (Quintilian 6,2,8). Aus dem elliptischen Gebrauch erklärt sich auch das feminine Genus, vgl. mfrz. Mais Platon [...] la divisa en .iii. parties, en ethique, phisique et logique, c'est a dire en morale et naturelle et raysonnable (Foul., Policrat. B., VII, 1372, 310, TLF ebd.) „Aber Platon hat sie [die Philosophie] in drei Teile geteilt, in Ethik, Physik und Logik, d.h. in Moral, Natur und Vernunft“. Daneben findet sich die Anwendung des Neutrum Plurals Moralia, einerseits auch für das Teilgebiet der Philosophie o.Ä, andererseits für „sittliche Exempel bzw.Lehren“, vgl. etwa den Titel der Schrift von Gregor dem Großen „Moralia in Iob“(6. Jh.). oder mfrz. Quant aux moralz devant diz, la loy [...] (Jean Golein, Rational B.D., c.1370-1372, 670, TLFebd.) „Hinsichtlich der Moral muss man sagen, das Gesetz [...]“. Der Bezug auf die „Moral von einer Geschichte“ findet sich ebenfalls im Mittelfranzösischen: et darnier [exemple] des Ystoires traicte de la fable de Midas (...) ; qui est très belle ystoire et moralle a oÿr (La Sale, Sale D., 1451, 15, TLF ebd.) „und das letzte Beispiel der ‚Geschichten‘ behandelt die Fabel von Midas [...]; das ist eine sehr schöne Geschichte und moralisch/Moral zu hören“. Im Deutschen erscheint zunächst nur die Bedeutung „sittliche Lehre aus einem Beispiel“, im 16. Jh.regelmäßig als Neutrum: hierher gehört auch das morale der siebenden fabel (E. Alberus 40a, DWb ebd.). Die Verwendung als „Sittenlehre“ beginnt im 17.Jh.: dasz wir gegen einander halten, was die bisher demonstrirte wahre erkäntnisz von gott und seiner vorsehung in der morale für einen nutzen habe (Chr. Thomasius Einleitung zur Sittenlehre 147, DWb ebd.). Unter dem Einfluss des Femininums (aus der Verbindung mit Philosophie) setzt sich in dieser Zeit allgemein dieses Genus durch. Im 18. Jh. kommt dann die Bedeutung „Gesamtheit, der in einer Gesellschaft geltenden sittlichen Normen und Regeln“ auf.

Literatur:
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7). 
DWb = Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm1854–1954: Deutsches Wörterbuch.Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck derErstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auchals CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auchunter: www.woerterbuchnetz.de.
FrnhdWb = Goebel, Ulrich/Reichmann, Oskar 1986–: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Begr. von Robert R. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann. Bd. 1–. Berlinu.a.: de Gruyter.
Kluge, Friedrich 2002: EtymologischesWörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. ElmarSeebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Pfeifer = Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u.erg. Aufl. Berlin: Akad. Verlag.
Schulz, Hans/Basler, Otto: Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführtvon Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu bearb. im Inst. für DeutscheSprache. Bd. 1–. Berlin, New York: deGruyter.
TLF= La Trésor de la Langue FrançaiseInformatisé, unter http://atilf.atilf.fr/tlf.htm.
 
Autorinnen: Bettina Bock und Sabine Ziegler