Etymologie

Motiv2

Motiv n. „Überlegung, Gefühlsregung, Umstand, durch den sich jemand bewogen fühlt, etwas Bestimmtes zu tun; Beweggrund“ ist eine Entlehnung aus mlat. motivum n. „Beweggrund“ < lat. Adj. mōtīvus „beweglich; Bewegung bewirkend“, einer Ablei­tung vom Part. Perf. Pass. mōtus (< urlat. *moeto-) des Verbs movēre „(sich) bewe­gen, jemanden antreiben“. Die lat. movēre (< uridg. Kausativ *moh1-ée/o- „sich selbst, jemanden anderen sich bewegen lassen“) wie auch heth. mau-/mu- „fallen“ und aind. mīv- „schieben, drängen“ zugrunde liegende uridg. Wurzel *meh1- „bewegen“ zeigt in eini­gen Sprachen und Wortformen Schwund des --. Die spezielle Anwen­dung im rechtssprachlichen Kontext erhält das Wort durch Übersetzungen englischer Kriminalromane aus der ersten Hälfte des 20. Jh.s., z.B. in Agatha Christies Roman The ABC Murders (1936, S. 328): When a man or woman is killed, what are the questions the police ask? Opportunity … Motive. Who benefited by the deceased’s death? Im Englischen ist als ältester Beleg nach OED nachweisbar: Neither the wildness of the boy’s motive, for committing the crimes, nor his youth, can afford a satisfactory answer to the charge (U.S. Supreme Court Report no. 4 116 von 1782). 
In der Regel wird jedoch das verdeutlichende Kompositum Mordmotiv verwendet, die ersten Belege dafür stammen aus der Mitte des 20. Jh.s., Z.B. Wir wollen sehen, ob das Mordmotiv nicht auch in dieser Angelegenheit eine Rolle spielt (Der Nürnberger Prozess/Hauptverhandlungen/Einhundertsiebenundfünfzigster Tag. Dienstag, 18. Juni 1946/Nachmittagssitzung, nach zeno.-org) und Die Staatsanwaltschaft leitet das Mordmotiv von der Behauptung ab, Praun habe diesen Besitz verkaufen wollen (Die Zeit, 11.05.1962, nach DWDS).
Dt. Beweg­grund (frühester ermittelbarer Beleg nach DWDS aus dem Jahre 1742, jedoch in nicht rechtssprachlichem Kontext) ist eine Lehnüber­set­zung aus lat. causa (mōtīva).

Literatur:
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7).
Kloekhorst, Alwin 2008: Etymological Dictionary of the Hittite Inherited Lexicon. Leiden: Brill.
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Reichert.
 
Autorin: Sabine Ziegler