Etymologie

Nahrung

Nahrung geht auf ahd. narunga st. f. (ō-St.) „Ernährung, Erhaltung, Unterhalt“ (10. Jh.) zurück, ein Nomen actionis mit Suffix ‑unga. Ableitungsbasis ist entweder ahd. nara st. f. (ō-St.) „Nahrung, Erlösung, Errettung, Rettung, Unterhalt, Ernährung, Erhaltung“ (8. Jh.) oder ahd. nerien/nerren „nähren, füttern, versorgen, retten, erlösen, heilen, ernähren, unterhalten, erretten, schützen, Schutz gewähren, gesund machen, sich ernähren“ (8. Jh.). Im ersten Fall ist die Ableitung nur schwer zu motivieren, da auch nara ein Abstraktum ist; doch werden die ‑unga-Ableitungen zunehmend produktiv. Im zweiten Fall bedarf der Vokalismus einer Erklärung. Da das Verb nerien mit Vernerschem Gesetz auf einem germanisches Kausativum *naz-i̯e/a‑ „(jemanden durch Versorgung/Ernährung) retten“ > „ernähren“ beruht (vgl. z. B. noch anord. nøra „erfrischen, ernähren“), müsste die Ableitung zu einer Zeit erfolgt sein, in der der Umlaut a > e vor i in der Folgesilbe für die Sprecher noch durchsichtig war und daher in der Ableitung nar-unga rückgängig gemacht wurde. Zu der zugrunde liegenden Wurzel uridg. *nes- „davonkommen, unbeschadet heimkehren“, die auch noch in dt. ge-nesen „gesund werden“ (< thematisches Präsens *nés-e/o-) vorliegt, wurde ein Kausativum uridg. *nos-éi̯e/o- gebildet.
Im 15. Jh. kam im niederländischen Sprachgebiet die Bedeutung „Amt, Zunft, Gilde“ auf: dit sijn die ghilden die toe saemen van den ambochten ind neringe toe C. ghesat … sijn (1426/40 KleveStR. Art. 463, DRW s.v. Nahrung) „das sind die Gilden, die zusammen von den Ämtern und Nahrungen zu C. gesetzt sind“. Der Bedeutungsübergang ging von der Grundbedeutung „Lebensunterhalt“ aus, die somit auch das Benennungsmotiv liefert, und führte metonymisch im Frame dessen, was zum Leben nötig ist, zu „Erwerbstätigkeit“, vgl. seggen wi, dat van alle der neringhen, die in onse stadt bedreven wort, acciesen van gelden sullen „sagen wir, dass von allen Erwerbstätigkeiten, die in unserer Stadt betrieben werden, Steuern in Form von Geld zu zahlen sind“ (1424 Cleve/Homeyer Festgr. 27, DRW ebd.). Diese semantische Entwicklung findet sich auch im Frühneuhochdeutschen: was ist ewr narung? sie antworten, deine knechte sind viehhirten. 1 Mos. 47, 3. Die Bedeutung „Erwerbstätigkeit“ ist auch noch im Älteren Neuhochdeutschen belegt, vgl.: dasz er kaufmannschaft trieb und sein geld in bürgerlicher nahrung mehrte (Freytag bilder [1867] 2, 1, 10, DWb s.v. Nahrung). Über Metonymien in diesem Frame, zu dem die einzelnen Erwerbstätigen, ihre Organisation, Formalien, Immobilien für die Ausübung usw. gehören, ergaben sich weitere Bedeutungen neben der „Gemeinschaft der Erwerbstätigen“:
– „Erlaubnis zur speziellen Erwerbstätigkeit“: Vgl. die makelare, die van dese cope ende van vercope makelare ware, hie verborde iij (pfund) ende i jaer sine neringhe „der Makler [Kaufvermittler], der von diesem Kauf und vom Verkauf Ware makeln sollte, der verbüße 3 Pfund und ein Jahr seine Lizenz“ (1277 CorpMnlTekst. I 354; DRW ebd.).
– im Älteren Neuhochdeutschen bezeugtes „Ackerland“: Vgl. ein amptsverwalter hatt grosze gu̔ter und nahrung kaufft (Kirchhof wendunm. 144a, DWb ebd.).

DRW: Deutsches Rechtswörterbuch. http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/.
DWb: Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Kluge, Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.v. nähren.
LIV: Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert-Verlag, s.v. *nes-.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.v. nähren.

Autorin: Bettina Bock