Etymologie

Opfer2

Opfer n. „jemand, der durch jemanden umkommt oder Schaden erleidet“, ahd. ophar, opfar (mhd. opfer, opher, asächs. mndd. opper) ist eine Rückbildung aus dem Verb ahd. opharōn „op­fern“ (mndd. opperen, offeren), einem Lehnwort aus lat. operārī „ar­bei­ten, bauen, pflügen; anbeten, verehren; ein(e) Opfer(gabe) bringen“ (> frz. ouvra­ger „anbe­ten“). Nach EWD s.v. opfern ist dieses Verb ist zwar nach der Lautform aus lat. operārī „arbeiten, bauen, pflügen; anbeten, verehren; ein Opfer bringen“ entlehnt, doch dürfte es in der Bedeutung durch das lat. Verb offerre „dar­bringen“ (in ahd. offrōn, afries. off(e)ria, aengl. offrian, anord. offra) beeinflusst oder zumindest an das andere lateinische Verb semantisch angeglichen wor­den sein. Angesichts der Denotationsbreite von lat. operārī ist diese Annahme zwar möglich, aber nicht notwendig. 
Lat. operārī seinerseits ist eine Rückbildung aus operātus „arbeit­sam, geschäf­tig, fleißig“, einer Ablei­tung von lat. opera „Anstrengung, Tätigkeit; Dienstleistung“ und letztlich zu lat. opus, Gen. operis n. „Arbeit“ < uridg. *h3ep-os n. (= aind. ápas- n. „Ar­beit, Tätigkeit“) gehörig. Das lateinische Verb operārī zeigt bereits die Bedeu­tungs­erweiterung im religiösen Kontext zu „Opfer(gaben) dar­bringen, anbeten“. Lat. opus, aind. ápas setzen ein uridg. *-es/os-Neutrum *h3ep-es/os- fort und gehören dann zu einer uridg. Wurzel *h3ep- „herstellen“ (vgl. de Vaan 2008: 432; LIV²: 298f. und Anm. 1). Eine andere, semantisch bessere Möglichkeit ist die Annahme eines Rekonstrukts *h1op-es/os- „das Anpacken; Tätigkeit, Arbeit“ (mit im Lat. des öfteren anzutreffender o-Stufe bei den -es/os-Neutra) zur uridg. Wurzel *h1ep- „ergreifen, anpacken“ (dazu Balles 1997: 228). 
Die semantische Entwicklung von „Opfer“ zu „Opfer, Ge­schädigter (eines Verbre­chens)“ im Deut­schen dürfte wohl über die alte religiöse Praxis von Tier- und Men­schen­opfern, die speziell für diesen Zweck getötet wurden, sowie die christliche Vor­stellung von Jesus als („Men­schen-“)Opfer eingetreten sein: So findet man etwa Stel­len wie Ach ich dencke vnd dancke Gott / durch Jesum / der mir ge­macht zur heyligung / der sich selbs zu einem Opffer gegeben (Johann Conrad Dannhauer, Catechismus Milch. Bd. 5. Straßburg, 1654, nach DTA); der erste er­mittelbare Beleg für Opfer in der Be­deu­tung „Opfer (eines Verbrechens)“ ist: Hier waren ihrer viel die von Ulyssens tücken / Verkündigten zuvor und seine grimme stücken / Mir machten treulich kund: sie machten nicht viel wort / Und sahen wol / daß es lieff aus auff einen mord. / Zwar Calchas der prophet hielt sich ein zehen tage
In seinem losament / damit er ohne plage / Des volckes ruhete; Immittelst schwieg er still / Und war bey ihm gefaßt der unbewegte will / Und meynung / keinen je zum opffer zu benennen / Daß er für sich den tod wolt einem menschen gönnen. (Übersetzung von Publius Vergilius Maro, Eigentlicher Abriß Eines verständigen/ tapfferen und frommen Fürsten/ Von dem fürtrefflichsten Poeten Virgilius. Cölln (Spree) 1668; nach DWDS).
Der vorläufige Endpunkt der semantischen Entwicklung zu „in irgendeiner Weise Geschädigter“ ist erreicht mit Bele­gen wie Die Kollegenschaft im ganzen, eine „lustige Verbrüderung“, behagt sich in manchem kecken Streich. Als die Lustigkeit überschäumt, bleibt Hoffmann auf der Strecke; ein Opfer des eigenen Genies (Die Zeit, 07.01.1946, nach DWDS). Aus der Jugendsprache stammt die Verwen­dung von Opfer (mit der Variante Opfa) als eine Art Synonym für „Verlierer, Loser“.

Literatur:
Balles, Irene 1997: „Griechisch ἄφενος „Reichtum“ “, HS 110, 215-232. 
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7).
DTA = www.deutschestextarchiv.de.
DWDS = Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20.Jahrhunderts. www.dwds.de. 
Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Karg-Gasterstädt, Elisabeth u.a. 1952–: Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftr. der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings. Bd. 1–. Berlin: Akad.-Verl.
EWD = Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866. Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
LIV = Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Reichert.
 
Autorin: Sabine Ziegler