Etymologie

Recht

Recht n. ist bereits seit dem 8. Jh. bezeugt: ahd. reht st. n. „Recht, Gesetz, Gebot, Pflicht, Rechtssache, Gerechtigkeit, Urteil; Beweis; Sieg“, mhd. reht „Ge­samt­heit der rechtlichen Verhält­nisse bzw. der gesetzlichen Bestimmungen, Rechts­buch, Gericht, Rechtsverfahren, Ur­­teilsspruch“, frnhd. recht „Recht, Gesetz, Gebot, Pflicht, Rechts­­sache, Gerech­tig­keit, Dienstpflicht, Abgabe“, änhd. recht „Recht, Gesetz, Gebot, Pflicht, Rechtssache, Gerechtigkeit, Gericht, Hinrichtung“. Dazu kommen aus anderen germanischen Spra­chen: asächs. reht, mndd. mndl. nndl. recht, aengl. riht, engl. right. Diese Wörter sind Substantivierungen der neutralen Form des Adjektivs recht, ahd. reht „recht, gerecht, berechtigt, richtig, gerade, einfach, gut, wirklich, zutreffend, wahr“. Schon seit alt­hoch­deutscher Zeit bezeugte Ableitungen sind ferner rechten „sein Recht von jmdm. fordern, tadeln, streiten“, ahd. rehtōn sw.V. „Gerechtigkeit widerfahren lassen“, mhd. rehten „prozessieren, streiten, sich aus­einandersetzen“, recht­­lich Adj. „dem Recht entsprechend, gesetzlich“, ahd. rehtlīh „rechtsgültig, ge­recht, ordnungsgemäß, rechts­fä­hig, durch Regel vorgeschrieben“, mhd. rehtlich. Das zugrunde liegende Adjektiv ahd. reht ist auch in asächs. reht „recht, gerecht, richtig, wahr, gut, gerade, eben“, mndd. recht „gerade, aufrecht, richtig, genau, passend, wahr, eigentlich, gesetzmäßig, rechtmäßig, gerecht, auf der der Herzseite gegenüber­lie­genden Seite befindlich“, mndl. nndl. recht, aengl. riht, engl. right, anord. rēttr, schwed. rätt, got. raíhts alle „recht, gerecht, richtig, gerade“ bezeugt und weist auf urgerman. *reχta- < vorurgerman. *rek-tó- < uridg. *h3reĝ-tó-, eine *- Parti­zi­pial­bildung zum Verb uridg. *h3reĝ- „gerade richten, ausstrecken“ (LIV²: 304f). Das Wort hat genaue Ent­sprechungen in av. rāšta- „gerade“ (das lange ā im avest. Verbaladjektiv ist nach LIV²: 305 Anm. 9 aus dem Narten-Präsens übertragen), griech. orektós „ausgestreckt, er­wünscht, er­sehnt“, lat. rēctus „gerade, richtig, recht, aufrecht, regelrecht, schlicht, ein­fach, recht­schaffen, tugendhaft, sittlich“ (das lange ē im lat. Verbaladjektiv kommt durch lautgesetzliche Dehnung des Vokals vor einer ursprünglichen Folge plosive Media + plosive Tenuis zustande). Von der germanischen Partizipialbildung *reχta- ist im Althochdeutschen noch rihtī f. „Rich­tung, gerade Richtung, Geradheit, Ordnung, Gerechtigkeit, Einfachheit, Richtschnur, Aufeinanderfolge, Anordnung, Recht, Strafe, Regel“, mhd. rihte f. „gerade Richtung; [Gericht (als Speise)]“, frnhd. richte f. „gerade Rich­tung“, änhd. richte f. „gerade Richtung; Gerechtigkeit“, nhd. Richte „gerade Richtung; Anordnung, Reihe“ mit dem Suffix -ī (< uridg. *‑ih2‑) abgeleitet. Daneben gibt es im Altnordischen das Sub­stantiv rēttr m. (u-St.) „Recht, Rechtsanspruch“ < urgerman. *reχtu- < uridg. *h3reĝ-tu-, das genau zu air. recht u, m. „Ordnung, Gesetz, Recht“ stimmt und ein uridg. -tu-Ab­straktum fortsetzt. Die uridg. Wurzel *h3reĝ- „gerade richten, ausstrecken“ ist mit un­ter­schied­li­chen Bedeutungen in verschiedenen Stamm­bildungen in folgenden Spra­chen be­zeugt: Ein n-Infix-Prs. *h3-né/n-ĝ- in aind. ñjánti (3.Pl. der Wurzel raj²-) „sich aus­strecken, in gerader Richtung laufen“ und umge­bildet in lit. ręžiu, ręžti „spannen, straffen“, ein dehn­stufiges Präsens („Nar­ten“-Präsens) *h3ḗĝ-/*h3éĝ- in aind. rāṣṭi (3.Sg.) „herr­schen“ und in Ableitungen in jav. vī-rāzaiti „herrschen“, griech. orégein „strecken“, lat. regere „richten, lenken“, air. at-ráig „sich erheben“ (McCone 1991: 8), got. rikan „aufhäufen“ (Seebold 1970: 373) und toch. B rāṣäṃ Konj. „soll aus­strecken, ausbreiten“. Aind. irajyáti (3.Sg.) „anordnen, len­ken“ < *h3nĝéti ist vom Nasal­präsens der Wurzel raj2- (s.o.) deriviert (RIVELEX II: 203. Vgl. Peters 1986: 372. VIA: 436 leitet das Verb von *(hx)hxeĝéti- ab). Ein von der uridg. Wurzel *h3reĝ- abgeleitetes Wurzel­nomen *h3rḗĝ- erscheint in aind. rā́j- m. „Oberherr, Gebieter, Anführer“, lat. rēx „Herr­scher, König“, air. g, m. „Fürst, An­führer, König“, das in den germanischen Spra­chen nicht bezeugt ist.

Literatur:
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Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
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Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Malzahn, Melanie 2010: The Tocharian Verbal System. Leiden/Boston: Brill.
Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
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Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Peters, Martin 1986: Untersuchungen zur Vertretung der indogermanischen Laryngale im Griechischen. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 377; zugleich Veröffentlichungen der Kommission für Linguistik und Kommunikationsforschung, Heft 8).
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
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Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Reichert.
VIA = Werba, Chlodwig 1997: Verba Indoarica. Die primären und sekundären Wurzeln der Sanskrit-Sprache. Pars I: Radices Primariae. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
 
Autorin: Sabine Ziegler