Etymologie

Schuh

Ahd. scuoh, mhd. schuoch, schuo, asächs. skōh, mnd. schō, mnl. scoe, nl. scho, ae. scō(h), anord. skō-r, got. skōh-s, fortgesetzt auch in engl. shoe, schwed. sko, geht auf urgerm. *skōχa- m. „Schuh“ zurück. Da außergermanische Anschlüsse fehlen, ist die bei Pfeifer 1993: 1247 angesetzte Vorform idg. *skō(u)ko- „Umhüllung“ lediglich ein Transponat.
In morphologischer Hinsicht ist die Bildung problematisch wegen des Wurzelvokalismus (Casaretto 2004: 66), da eine Vr̥ddhibildung nicht direkt auf eine Verbalwurzel bezogen werden kann, eine nominale Zwischenstufe angesichts der Beleglage aber hypothetisch bleibt.
Die von Kluge/Seebold 2011: 828 als eine von mehreren Deutungsmöglichkeiten erwogene Verknüpfung von germ. *skōχa- m. „Schuh“ mit den „ähnlich klingenden“ Wörtern gr. sykchís f., lat. soccus „Schuh“ und avest. haxa- n. „Fußsohle“, die dann auf ein nichtidg. Wort zurückgingen, ist wegen der unüberwindlichen lautlichen und areallinguistischen Probleme unwahrscheinlich. Weder gibt es einen Grund für die irreguläre Umgestaltung des Anlauts im Germanischen noch ist eine Sprachkontaktsituation denkbar, in der ein aus einer unbekannten Sprache in das Iranische, Griechische und Lateinische entlehntes Wort ohne irgendeine Vermittlersprache auch noch ins Germanische eindringt. Die Dehnstufe bleibt bei diesem Deutungsansatz ganz unerklärt.
An lautlichen Problemen scheitert auch die von Kluge/Seebold 2011: 828 und ausführlich Seebold RGA s.v. Schuhe angeführte alternative Erklärung als Vddhibildung *skrōha- „aus Leder bestehend, Schuh“ mit sekundärem r-Ausfall, zu einem in norw. skrå „Lederflicken, Schuh“, anord. skrá „Pergament, Leder“ und zu engl. dial. scrae „alter Schuh“ entlehnten germ. *skraha- „Pergament, Leder“. Bei dieser Deutung ist nicht nur das ausschließlich im Nordischen bezeugte und etymologisch nicht weiter deutbare Grundwort problematisch, sondern auch der irreguläre r-Ausfall, für den es keine Sondererklärung gibt. Der Ansatz eines Grundworts germ. *skraha- geht im übrigen auf einen bei Kluge/Seebold nicht zitierten Aufsatz von Lane 1937: 23f. zurück, in dem ein im Keltischen rekonstruierbares *krenkto- in air. crēcht „Wunde, Narbe“ mit einem germ. Adjektiv *skrēha- „trocken, dürr“ verknüpft werden sollte. Bei aisl. skrá < *skrahō- liege eine Substantivierung „trockenes Stück Haut, Leder“ vor, die sich dann zu „Schriftrolle, Gesetzbuch“ weiterentwickelt habe. Die Bedeutung „Schuh“ ist demnach nur im Nnorw. und in einem nach Ausweis des OED s.v. scrae erst im 18. Jh. bezeugten englischen Dialektwort nachweisbar. Lane selbst hatte 1931: 35 die Sippe von germ. *skōha- mit einer Verbalwurzel *sqeu- [sic] „bedecken“ verbunden.
Kroonen 2013: 446 hält das Wort für nicht sicher etymologisierbar und erwägt allenfalls Anschluss an das Verbum germ. *skehan- „schnell gehen“ (vgl. nhd. ge-schehen usw.). Da dieser Wörterbucheintrag aber weder Literaturangaben noch irgendeine Diskussion enthält, führt er nicht weiter. Tatsächlich stammt der Vorschlag von Bjorvand/Lindeman 2007: 981ff. Das Problem der Dehnstufe in der nominalen Ableitung bleibt dabei aber ebenso unerklärt wie die Semantik, denn wenn ein Bewegungsverb die Grundlage für ein Wort für „Schuh“ darstellen soll, so müsste es sich wohl um ein ursprünglichen Nomen agentis des Typs nhd. Treter o.ä. handeln. Das ist morphologisch aber ausgeschlossen.
Hypothetisch, aber möglich ist dagegen ein Anschluss an die idg. Verbalwurzel *(s)keu̯H- „bedecken, umhüllen“, die allerdings nur indirekt bezeugt ist, denn das vielfach hierzu angeführte ai. skunti „bedecken“ ist nur spät und vereinzelt belegt und lässt sich möglicherweise auch mit idg. *skeu̯h2- „stochern, stoßen“ verknüpfen (Cheung 2007: 347f.; LIV 561). Immerhin gibt es aber weitere nominale Fortsetzer, die eine ursprüngliche Verbalwurzel mit der Bedeutung „bedecken, umhüllen“ wahrscheinlich machen, vgl. Neri RGA s.v. Scheune.
Die unerklärte Dehnstufe von *skōha- bleibt dabei weiterhin das zentrale Deutungsproblem. Anders als über eine Vr̥ddhierung lässt sich die langvokalische Bildung nicht herleiten, und das setzt zwingend ein nominales Grundwort voraus, unabhängig davon, ob dieses Grundwort seinerseits denominal oder deverbal gebildet ist. Scheidet man nun den lautlich unwahrscheinlichen Erklärungsansatz, nach dem ein unmotivierter r-Schwund angenommen werden muss, aus, weiterhin die semantisch und morphologisch unwahrscheinliche Verknüpfung mit *skehen- „schnell gehen“, so bleibt tatsächlich nur die Ableitung vom Verb *skeu̯H- „bedecken, umhüllen“. Denkbar ist also zunächst eine o-stufige deverbale Nominalableitung *skoH-ó- „Hülle“ o.ä., die bei Vr̥ddhierung regulär Akzentverschiebung erfährt und jedenfalls vor dem Einsetzen des Vernerschen Gesetzes sekundär mit *-ko- suffigiert wird. Daraus ergibt sich lautgesetzlich die Vorform vorurgerm. *skṓka- > urgerm. *skōχa-. Es ist aber nicht zu leugnen, dass diese Herleitung formal hypothetisch und semantisch möglich, aber nicht unbedingt zwingend ist, da man über die sehr abstrakte Zwischenbedeutung „zur Hülle Gehöriges“ oder ein kollektives „Schuhwerk“ nicht hinauskommt.

Bjorvand/Lindeman 2007: Harald Bjorvand/Frederik Otto Lindeman, Våre arveord: etymologisk ordbok, Oslo: Novus Forlag.
Casaretto 2004: Antje Casaretto, Nominale Wortbildung der gotischen Sprache: die Derivation der Substantive, Heidelberg: Winter.
Cheung 2007: Johnny Cheung, Etymological dictionary of the Iranian verb, Leiden: Brill.
Kluge/Seebold 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Auflage, Berlin: de Gruyter.
Kroonen 2013: Guus Kronen, Etymological dictionary of Proto-Germanic, Leiden: Brill.
Lane 1931: George S. Lane, „Words for clothing in the principal Indo-European languages“, in: Language 7, 3-44.
Lane 1937: George S. Lane, „Celtic notes“, in: Language 13, 21-28.
OED: The Oxford English dictionary, www.oed.com.
Pfeifer 1993: Wolfgang Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2. Auflage, Berlin: Akademie-Verlag.
RGA: Johannes Hoops/Heinrich Beck, Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Berlin: de Gruyter, 1973.