Stuhl
Stuhl m. „mit
vier Beinen, einer Rückenlehne und gelegentlich Armlehnen versehenes Sitzmöbel
für eine Person“ ist seit
dem Althochdeutschen bezeugt: ahd. stuol (glossiert lat. accubitus „Platz bei Tisch“, cathedra „Sessel,
Thron“, consessio „Sitzen“, consessus „Sitzen“, essedum
„Reisewagen“, fulcrum „Ruhelager“, recubitus „Platz bei Tisch“, sagma
„Packsattel“, sedes „Sitz“, sedile „Sessel, Stuhl“, sella
„Sessel, Stuhl“, sessorium „Sessel, Stuhl; Wohnsitz“, solium „Thron“,
subsellium „Sitzbank“, suggestus „Unterbau, Bühne, Rednerbühne“, thronus
„Thron“, triclinium „Speisesofa; Speisezimmer“, tripedica
„Dreifuß, Stuhl mit drei Beinen“), mhd. stuol (z.B. von dem stuole er von vröuden spranc; Heinrichs von dem
Türlin Krone 270 b, um 1220/1230, nach BMZ, dem sune Pharaonis, swie
hôch sô sîn stuol ist; Altdeutscher Exodus 151, 25, Anfang 12. Jh., nach BMZ) weisen
zusammen mit got. stols, anord. stóll, aengl., as., afries. stōl,
nengl. stool, nschwed. stol auf eine germanische Form *stōla-
„Gestell; Sitzmöbel, Stuhl“, die ihrerseits eine uridg. Bildung *steh2-lo-
„was zum Stellen geeignet ist, Gestell“ fortsetzt. Die alte
Bedeutung „Gestell, Stütze“ ist noch in den Komposita Dachstuhl, Glockenstuhl,
Mühlstuhl, Webstuhl erkennbar. Diese Bildung gehört – samt lit. pa-stõlas
„Gestell, Ständer, Stativ“ – zu der uridg. Wurzel *steh2-
„stehen, stellen, sich hinstellen“, die in vielen indogermanischen Sprachen
gut bezeugt ist. In einigen
anderen indogermanischen Sprachen haben nominale Ableitungen dieser Wurzel
ebenfalls ähnliche Bedeutungen angenommen: aind. goṣṭhá-, keltib. boustom
„Rinderstall“ (< uridg. *go(s)-sth2o- „Stall (*Hinstellort)
der Rinder“ , parallel
dazu ahd. ewist, ouwist „Schafstall“ (auch im Ortsnamen Aust
<*h2oi-sth2o- „Stall (*Hinstellort) der
Schafe“ , griech. stūlos
„Säule, Pfeiler, Stütze“, griech. stoá „Säulengang;
Vorratskammer“, lett. stats „Pfahl, Pfosten“, lit. stãklės Pl. „Gestell,
Lattengerüst, Webstuhl“.
Das mhd. stuol
bezeichnet auch allein den „Stuhlgang, Kot“, z.B. in der ze vil
stüel hât (Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur
149,
21; Mitte 14. Jh., nach BMZ) neben dem üblicheren Kompositum mhd. stuolganc
, frnhd. stuhlgang und nhd. Stuhlgang „dss.“
Literatur:
Beekes, Robert S.P. 2009: Etymological Dictionary of Greek. Amsterdam: Brill.
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7).
Goebel, Ulrich/Reichmann, Oskar 1986–: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Begr. von Robert R. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann. Bd. 1–. Berlin u.a.: de Gruyter.
Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch.
Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck
der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.
Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main:
Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Hock, Wolfgang (Hrsg.): Altlitauisches Etymologisches Wörterbuch. Im Druck. Heidelberg: Winter.
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Köbler AhdWb = Köbler, Gerhard: Althochdeutsches Wörterbuch, 4 Auflage, online uter http://www.koeblergerhard.de/ahdwbhin.html.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
BMZ = Mittelhochdeutsches Wörterbuch.
Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet
von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866.
Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen.
Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb.
von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2.,
erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix.
Wiesbaden: Reichert.
Wodtko, Dagmar S./Irslinger, Britta/Schneider, Carolin 2008: Nomina im indogermanischen Lexikon. Heidelberg: Winter.
Autorin: Sabine Ziegler