Tat2
Tat f. hat die Bedeutung „Vergehen,
Straftat“ nur in rechtssprachlichem Kontext, sonst bezeichnet es allgemein
„Handlung, Aktion; was einer tut“, so auch ahd. tāt f. „Tat, Handlung, Geschehen,
Wirken, Werk, Ding“, mhd. tāt „Handlung, Tat“, frnhd. t(h)at „dss.“, änhd. Tat „dss.“. Dagegen zeigt nhd. Täter m. „jemand, der eine Straftat begeht“ eine auf den Kontext der Rechtssprache eingeengte Bedeutung.
Die mit dem Nomina agentis bildenden Suffix -er (< mhd. -ære,
ahd. -āri) von Tat abgeleitete Simplexform ist zuerst in den
Nürnberger Polizeiordnungen als tetter – stets im Zusammenhang mit
Totschlag und anderen Verbrechen – nachweisbar, im verdeutlichenden Kompositum ist bereits mhd. übeltæter „Verbrecher“ belegt. Die Form Täter ersetzt ahd. -tāte m.
in meintāte, ubiltāte „Verbrecher“, mhd. -tæte m. „Täter“
in meintæte, übeltæte „Verbrecher“ und morttæte
„Mörder“. Auch änhd. T(h)äter weist die auf das
rechtssprachliche Umfeld beschränkte Bedeutung „Straftäter“ auf.
Tat, ahd. tāt f., got. ga-deþs f.,
anord., fär. dáð f., aengl. dǣd f., nengl. deed, afries. dēde
f., asächs. dād f. alle „Tat, Handlung“ < urgerman. *dēđi- <
uridg. *dheh1-tí- (dieses Rekonstrukt auch in aksl.
blago-dětь „gute Tat“) gehören zu der gut bezeugten urindogermanischen Wurzel *dheh1-
„setzen, stellen, legen“, die vor allem in den germanischen Sprachen die
allgemeinere Bedeutung „machen, tun“ erhalten hat (dt. tun, engl. to
do etc.).
Eine Parallele für den Bedeutungswandel von „Tat“ zu „Untat“
bietet lat. facus, facineris n. „Verbrechen“ (zu facere
„tun“); vgl. noch Sünde „Übertretung eines göttlichen Gebots; Handlung der Unvernunft, die nicht zu verantworten ist; Verfehlung gegen
bestehende (moralische) Normen“ eigentlich „die es ist“ < urgerman. *sunt-ijō- < uridg.
Transponat *h1st-eh2- (lexikalisiertes Femininum
des Part. Präs. Akt. zu uridg. *h1es- „sein“, ähnlich lat. sons,
sontis „schuldig“, ebenfalls lexikalisiertes Part. Präs. Akt zu uridg.
*h1es- „sein“).
Literatur:
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Mittelhochdeutsches Wörterbuch.
Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet
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Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
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Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb.
von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2.,
erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix.
Wiesbaden: Reichert.
Die Nürnberger
Polizeiordnungen aus dem XIII.-XV. Jahrhundert, Stuttgart: Literarischer
Verein, 1861. http://reader.digitale-samm
lungen.de/de/fs2/object/display/bsb10737713_00052.html.
Autorin: Sabine Ziegler