Etymologie

Toleranz

Toleranz f. „Duldung, Duldsamkeit; Rücksichtnahme, Großzügigkeit; (Technik) zulässige Abweichung vom Nennwert“ wurde in der Mitte des 16. Jh. von Martin Luther in der Bedeutung „Duldung, Duldsamkeit“ aus lat. tolerantia, -ae f. „Ertragen, Geduld, Duldsamkeit“ entlehnt, wobei er im Zuge der Reformation mit älteren Toleranzvorstellungen zur Akzeptanz anderer Religionen bricht – und dazu in einem Brief an die Fürsten Johann und Georg von Anhalt vom 12.6.1541 (WA Br. 9,441f., 3629, nach DWb) bewusst das Wort Toleranz mehrfach benutzt: die gegen gott die toleranz möchte entschuldigen (Luther Briefe 5, 367, DWb ebd.).
Das lateinische Substantiv ist eine Ableitung zu lat. tolerāre „ertragen, erdulden, unterstützen“, das wiederum zum Verb tollere „aufrichten,aufheben“ gehört (vgl. zu weiteren Einzelheiten de Vaan s.v.).
Die über Anerkennung von Religionsfreiheit hinausgehende Bedeutung „Rücksichtnahme, Großzügigkeit“ kam erst später auf (vereinzelt finden sich andere Bezüge auch schon früher, etwa in Luthers „Idee der ‚tolerantia Dei‘, der ‚T[oleranz] Gottes gegenüber menschlichem Vergehen“ (HWPh ebd.), vgl. zum konzeptuellen Übergang: toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende gesinnung sein; sie musz zur anerkennung führen (Goethe 56, 129, DWb ebd.). Die technische Bedeutung entwickelte sich im 19. Jh. im Münzwesen als „Toleranz im Feingehalt bei Gold- und Silbermünzen“, zunächst in Frankreich (Erstbeleg 1812), dann als Lehnbedeutungauch in Deutschland (1838, Jahrbuch der königlichen Sternwarte bei München 1,114) und England (1868).
Das Antonym Intoleranz f. „Unduldsamkeit“ ist seit der 2. Hälfte des 18. Jh. belegt, vgl. auch gleichbedeutendes frz. intolérance (17.Jh.) sowie lat. intolerantia „Unduldsamkeit, Unerträglichkeit, Übermut“.

Literatur:
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7).
DWb = Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm1854–1954: Deutsches Wörterbuch.Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck derErstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auchals CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auchunter: www.woerterbuchnetz.de.
FrnhdWb = Goebel, Ulrich/Reichmann, Oskar 1986–: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Begr. von Robert R. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann. Bd. 1–. Berlinu.a.: de Gruyter.
HWPh = Handwörterbuch Philosophie, hrsg. v. Wulff D. Rehfus. Mit Beiträgen von 54 Autoren. 1. Aufl. 2003. Göttingen (UTB) (V&R).
Kluge, Friedrich 2002: EtymologischesWörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. ElmarSeebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
OED = Oxford English Dictionary. www.oed.com. 
Pfeifer = Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u.erg. Aufl. Berlin: Akad. Verlag.
Rehfus, Wulff D. (2012): Geschichte der Philosophie I-IV. Göttingen: UTB (V&R). 
Schulz, Hans/Basler, Otto: Deutsches Fremdwörterbuch. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführtvon Otto Basler. 2. Aufl., völlig neu bearb. im Inst. für DeutscheSprache. Bd. 1–. Berlin, New York: deGruyter.
TLF= La Trésor de la Langue FrançaiseInformatisé, unter http://atilf.atilf.fr/tlf.htm.
 
Autorinnen: Bettina Bock und Sabine Ziegler