Truhe
Truhe f. „längliche, mit einem Deckel verschließbare, meist hölzerne Kiste“. Im
Althochdeutschen lautet die früheste bezeugte Form truha sw. f. „kleiner
Kasten, Schrein, Sarg“ (glossiert lat. capsella „Kästchen“, pyxis
„Büchse, Dose“, sarcophagus „Sarg“, Köbler AhdWb. s.v.), im
Mittelhochdeutschen herrscht die Form truhe „Kiste, Sarg“ vor (mhd. eine verschlossen truhen mit briefen; Die Chroniken der
deutschen Städte 5, 220, 14. oder 15. Jh., nach BMZ; und die tôten tragen an
die truhen ûʒ dem bluote; Die Rabenschlacht 869, 13. Jh., nach BMZ). Daneben
sind aber schon in älterer Zeit selten die Varianten ahd. trucha und
mhd. truche bezeugt, die
sich bis heute vor allem im südlichen Sprachraum (Österreich,
Schweiz) als Truche und Trucke erhalten haben. Ahd. truha
sw. f. steht im grammatischen Wechsel mit ahd. trog st. m. „langer, gerundeter,
oben offener Behälter (meist aus einem Holzstamm)“:
ahd. truha < urgerman. *truχōn-
< vorurgerman. *drúkā-
ahd. trog
< urgerman. *truǥa- < vorurgerman. *drukó-
Ahd. truha und trog liegt eine nominale Wurzel uridg. *deru-/ doru-/dru- „Holz, bes. Eichenholz; Holzstamm,
Baum; Eiche“ zugrunde, die auch in anderen indogermanischen Sprachen gut bezeugt
ist, z.B. ai. dru- n. „Holz“,
griech. dóru n. „Holz“, dru-tómos m. „Holzfäller“, heth. ta-ru-, ta-a-ru- „Holz, Baum“ sowie
aengl. tréo(w) „tree“, ahd. affaltar „Apfelbaum“, affaltrīn „aus Apfelbaumholz“, noch in
deutschen Ortsnamen, z.B. in Affolter,
Effeltrich eigtl. „Apfelbaumort“. Die
schwundstufige Form *dru- wurde mit
einem Suffix ‑kó- erweitert, das
ursprünglich einerseits Deminutive bildete, andererseits Adjektive mit der
Bedeutung „versehen mit, gemacht aus“. Uridg. *dru-kó- > nhd. Trog
bedeutete also zunächst „Holzstämmchen“ oder „aus einem Stück Holz gemacht“.
Eine genaue Wortbildungsparallele ist ebenfalls schwundstufiges und endbetontes
ai. uda-ká- n. „Wasser“ <
*„Wässerchen“ (abgeleitet von udán-
n. „Wasser“), das jedoch seine deminutive Bedeutung verloren hat (wie etwa auch
ai. aśva-ka- „Pferd“ u.a.). Eine
semantische Parallele liegt in air. drochta
io- oder iā-St. „Gefäß, Trog“ < vorurir. *druko-tio- vor, das mit einem ‑tio-Suffix
erweitert ist und die Bildung *drukó-
als zumindest westindogermanisch erweist. Ahd. truha < vorurgerman. *drú-kā-
zeigt Substantivierungsakzent auf der ersten Silbe. Das Benennungsmotiv ist das Material; vor
allem Tröge bestehen auch heute noch aus einem ausgehöhlten Stück Baumstamm.
Zu
anderen in der einschlägigen Literatur angeführten germanischen Wörtern vgl.
EWD s.v. Truhe und Trog sowie die Ausführungen in DWb s.v. Truhe. Sie seien hier nur kurz
angeführt: aengl. þruh f. (Pl. þryh) „Röhre, Kasten, Sarg“
(frühneuengl. through „Rinne; Grab“) und anord. þró f. (Pl. þrœr)
„ausgehöhlter Stock, Stein; Sarg“ setzen, wie der Plural zeigt, ein
urgermanisches Wurzelnomen *þrūχ- „ausgehöhlter Stock, Stein“ fort. Dazu
passen lautlich ahd. drûh f. i-St. „Kette, Fessel, Tierfalle“
(bis ins Frühneuhochdeutsche bezeugt, z.B. drauche domit man die wolf
greifet oder vahet; vocabularium theutonicum, 1482, nach DWb) und as. thrūh
f. „Fessel“ aus urgerman. *þrūχi-. Vgl. dazu EWA II s.v. drûh.
Literatur:
Beekes, Robert S.P. 2009: Etymological Dictionary of Greek. Amsterdam: Brill.
DWb = Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch.
Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck
der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.
Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main:
Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Kloekhorst, Alwin 2008: Etymological Dictionary of the Hittite Inherited Lexicon. Leiden: Brill.
EWD = Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Köbler AhdWb = Köbler, Gerhard: Althochdeutsches Wörterbuch, 4 Auflage,
online uter http://www.koeblergerhard.de/ahdwbhin.html.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
EWA = Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
BMZ = Mittelhochdeutsches Wörterbuch.
Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet
von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866.
Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
LIV = Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen.
Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb.
von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2.,
erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix.
Wiesbaden: Reichert.
Autorin: Sabine Ziegler