Tugend
Tugend f. ist bereits in ahd. tugund/tugend/tugind (um 1000), st. f. (i-Stamm), belegt und hat imAlthochdeutschen eine n-lose Variante tugid/tuged (9. Jh.), st. f. (i-Stamm).Innergermanisch entsprechen: mndd. dȫget, dȫgent, dȫgede, mndl. dōghet, deoghet, nndl. deugd, afries. dugethe, ags.dugoð, aengl. duguþ, anord. dygð „Tugend, Kraft“, schwed. dygd(urgerm. *dugunþi-; *duguþi- für das Westgermanische sowie *dugiþō- für das Nordgermanische). Der zugrunde liegende urindogermanische Verbalstamm*dheugh- führt im Germanischen zu der Grundbedeutung„taugen“ (vgl. EWA s.v., Kroonen s.v., Pfeifer s.v., EWD s.v.).
Urgerm. *dugunþi-, eine Abstraktbildung „etwas,das taugt“, ist aus urgerm. *dugiþō, einerAbstraktbildung zu einem Verbaladjektiv *dugiþ-„taugend“, hervorgegangen. Das *-n- in der zweiten Silbe beruht wohl aufeiner Reimwortbildung nach Jugend(< ahd. jugund < westgerm.*iugunþi-< urgerm. *iuuunþi-,vgl. EWA s.v. jugund.)
Eine jüngere Ableitungvon diesem Verbaladjektiv stellt das wohl von Notker (um 952–1022) alsLehnübertragung geprägte tugidheit st.f. (i-Stamm) mit dem Suffixoid -heit dar, das nur die ethischeBedeutung „Tüchtigkeit, Fähigkeit, Vortrefflichkeit“ besitzt. Die frühesten Bezeugungen in dengermanischen Einzelsprachen weisen indessen neben der ethischenBedeutungsnuance eine zweite, körperorientierte auf: „Kraft, Mannhaftigkeit“(vgl. OED s.v. douth, MNW s.v. doget, VMNW s.v. doghet, doghede).
Literatur:
Aumann, Erich 1939: „Tugend undLaster im Althochdeutschen“. In: Beiträge zur Geschichte der deutschenSprache und Literatur (PBB) 63, 143–161.
Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis,1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München:Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm.Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
AhdWb = Karg-Gasterstädt, Elisabethu.a. 1952–: Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias vonSteinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftr. der Sächsischen Akademie derWissenschaften zu Leipzig bearb. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und TheodorFrings. Bd. 1–. Berlin: Akad.-Verl.
EWD = Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschenSprache. Begr. von Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges.und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
IEW = Pokorny, Julius 2002: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch.2 Bände. 4. Aufl. Bern, Stuttgart: Francke.
Köbler AhdWb = Köbler, Gerhard:Althochdeutsches Wörterbuch, 4 Auflage, online unterhttp://www.koeblergerhard.de/ahdwbhin.html.
Kroonen, Guus 2013: EtymologicalDictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
EWA = Lloyd, Albert L./Lühr,Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–.Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Lühr, Rosemarie 1988: Expressivität und Lautgesetz im Germanischen. Heidelberg: Winter.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: EtymologischesWörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad.Verl.
LIV = Rix, Helmut/Kümmel, Martin2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihrePrimärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieleranderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, BrigitteSchirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix.Wiesbaden: Reichert.
Autorinnen: Bettina Bock und Sabine Ziegler