Etymologie

Werk

Gewerkschaft ist eine Kollektivbildung mit dem Suffix ‑schaft zu Gewerke m. (veraltet) „Inhaber von Anteilen einer Gewerkschaft; Mitglied einer bergbaulichen Genossenschaft, Zunftgenosse; Bauhandwerker“, mhd. gewerke m. „Handwerks-, Zunftgenosse; Teilhaber an einem Bergwerk“, einer Soziativbildung mit dem Präfix ge- und Suffix e- <*-jan-, die ursprünglich *„jemand, der mit einem anderen ein Werk gemeinsam hat“ bedeutete (im Sinne eines Possessivkompositums). Vgl. mit analoger Bildeweise Gesellschaft neben Geselle zu Saal sowie weitere Nomina auf ­‑schaft. Der Erstbeleg für Gewerkschaft findet sich nach derzeitigem Erkenntnisstand 1499/1500 in der Bedeutung „Liste der Mitglieder einer Gewerkschaft“: so einer eine zcechen uffnympt und dye genge vorschurfft, […], sal derselbige dye gewergschafft […] dem hewptman vorzceichent ubergebenn „wenn einer eine Zeche aufnimmt und die Gänge vorschürft, … soll derselbe die Gewerkschaft dem Hauptmann verzeichnet übergeben“ (Ermisch, Sächs. Bergr. 115, 6, osächs., FrnhdWb s.v. gewerkschaft. Voraussetzung ist aber eine Bedeutung „Gesamtheit der Inhaber eines Bergwerks“, von der sich die Bedeutung „Mitgliederliste“ metonymisch ableitet. Benennungsmotiv für Gewerkschaft ist damit ursprünglich der gemeinsame Anteil und damit das gemeinsame Interesse an einem Bergwerk.
Vereinzelt erscheint auch eine allgemeinere Bedeutung „Interessenvereinigung von Inhabern eines Betriebes oder von Handwerkern“, vgl.: kuntschafftē/ die er eingelegt/ die ehliche un̄ echte geburt/ sein vn̄ seiner eltern/ vn̄ wes si sich bey jrer herschaft vn̄ gemein gehalten/ so viel jm dis falles not gewest/ zu Recht genugsam beibracht vnd beweist hat/ derwegen jr auch (dz hantwergk/ in jre) zunfft vnnd gewerckschaft vngewegert auffzunehmen schuldig (Sechsisch Weychbild und Lehenrecht, 1537, 125. Blatt) „Zeugnisse, die er eingereicht hat: die eheliche und echte Geburt von ihm und seinen Eltern und wie sie sich bei ihrer Herrschaft und Gemeinde verhalten haben, wieviel für den Fall notwendig war, zu Recht hinreichend beigebracht und bewiesen hat, deretwegen ihn auch (das Handwerk/in ihre) Zunft und Gewerkschaft ohne Weigerung aufzunehmen schuldig (sind)“. Ein Kontext Bergbau ist hier nicht zu erweisen. Vielmehr passt dieser Beleg zu der Bedeutung „Handwerks-, Zunftgenosse“ von frnhd. gewerke, die ebenfalls für Mitteldeutschland bezeugt ist, vgl. welch man […] backen will veile, der muz alrest di innunge unde sin were gewinnen mit den beckeren und muz geben ein pfunt; des sal daz dritte teil dem obirsten voite unde daz andere teil den burgeren unde daz dritte teil den gewerken „wer zum Verkauf backen will, der muss zuerst die Innung und seinen Bund mit den Bäckern gewinnen und muss ein Pfund geben: davon soll ein Drittel dem obersten Vogt und das zweite den Bürgern und das dritte Drittel den Gewerken (gehören)“ (FrnhdWb s.v. gewerke). Offensichtlich vollzieht sich zwischen 1500 und 1600 in diesem Raum eine umfassende Begriffsbildung, stehen doch gewerkschaft, innung sowie das von Nord(westen) herkommende gilde (so z. B. 1335 in Heiligenstadt, Eichsfeld, belegt, vgl. DRW s.v. Gilde) und das aus dem Süden eindringende zunft sowie weitere Wörter in Synonymenkonkurrenz. Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft ergab sich die Möglichkeit, einzelne dieser Synonyme in ihrer Bedeutung auf spezielle Berufe oder Gruppen einzuengen, vgl. z. B. auch die Erklärung bei Adelung (s.v. Gewerkschaft): Eigentlich werden zu einer Gewerkschaft mehr als acht Personen erfordert. Sind ihrer weniger, so wird es eine Gesellschaft, und die Glieder derselben Gesellen genannt. Die Ableitung eines neuen Nomens und die Entwicklung der Bedeutung „Gesamtheit der Inhaber eines Bergwerks“ fallen zudem sicher nicht zufällig mit der zweiten Blüte des Bergbaus im Erzgebirge zusammen, die um 1500 einsetzte, vgl. Wagenbreth/Wächtler/Becke 1985: 19.
Seit dem 18. Jh. wird das Wort auch zunehmend zur Bezeichnung von Vereinigungen der Angehörigen anderer Berufe, vgl. die bäcker und schlächterzünfte bleiben (in Westpreuszen u. Litthauen) zwar als gewerkschaften bestehen und behalten ihr grundeigenthum zur ungestörten benutzung, es hängt jedoch von der freien willkür eines jeden gewerksgenossen ab, ob er mitglied des gewerks bleiben, oder sein gewerbe ohne verbindung mit demselben … betreiben will (preusz. verordnung von 1808 bei Rohrscheidt 303, DWb s.v. Gewerkschaft). Beachtenswert ist auch hier wieder das Nebeneinander von Zunft (in Schlächterzunft) und Gewerkschaft. Im 19. Jh. kommt unter dem Einfluss von nengl. trade union die heutige Bedeutung „Organisation der Arbeitnehmer zur Vertretung und Durchsetzung ihrer ökonomischen und sozialen Interessen“ auf. Um 1868, als sich mehrere zentrale Gewerkschaften gründeten (z. B. Verein Deutscher Lokomotivführer [1867], Allgemeine Deutsche Zimmererverein [1868], Gewerkschaft Rheinpreußen [1868], Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine [1869]), war der Begriff aber nicht nur inhaltlich stark umkämpft, sondern er stand auch in Konkurrenz zu Gewerk(s)verein, konnte sich aber am Ende durchsetzen, vgl. eine umfassende, fest begründete organisation der gesamten arbeiterschaft Deutschlands durch und in sich selbst zum zwecke gemeinsamen vorschreitens vermittelst der arbeitseinstellungen thut dringend not. die vorbedingung dazu ist: dasz ähnlich wie in England die arbeiter der ähnlichen geschäftszweige sich in allgemeinen gewerkschaften vereinigen. schon haben sie einen allgemeinen gewerksverein der buchdruckergehülfen, der cigarrenarbeiter, der schneider, ganz neuestens der bäcker. auf diesem wege musz fortgefahren werden. aufruf von Fritsche und Schweitzer, s. volkszeitung 1868 no. 203, DWb s.v. Gewerkschaft, vgl. auch DWb s.v. Gewerkverein.
Das Gewerke zugrunde liegende Substantiv Werk, ahd. werk st. n. (a-St.) „Werk, Tun, Tat, Ausführung, Arbeit, Dienst, Ertrag“ (8. Jh.), das zusammen mit asächs. werk, mndd. werk, wark, mndl. werc, warc, weerc, ndl. werk, aengl. weorc, werc, worc, wurc, nengl. work, anord. verk, aengl. weorc auf urgerm. *erka- n. „Werk, Arbeit“ zurückgeht (deutsch wirken ist dazu Denominativum), ist identisch mit griech. ἔργον (érgon) n. „Werk, Arbeit“, av. varəzəm n. „Werk“ und arm. gorc „Werk“ (mit sekundärem o-Ablaut), Fortsetzungen eines urindogermanisches Nomen actionis/rei actae *u̯érg̑-om (mit jeweils anderem Suffix vgl. noch av. varəzya- n. „Betätigung“ und mkymr. gwreith [< *u̯reg̑tu-] „Tat“) zur Verbalwurzel uridg. *u̯erg̑- „wirken, machen“.
Neben Gewerkschaft findet sich gewerk n. Das Wort geht zurück auf ahd. giwerc st. n. (a-St.) „Hervorgebrachtes, Erdichtung, Gestaltetes“ (9. Jh.), ein Nomen rei actae zu dem Verb giwerkôn „werken, handeln, tun“, das seinerseits mit perfektivierendem Präfix gi- zu werkôn, einem Denominativum zu werk, gebildet ist. Die Bedeutung „organisierte Handwerkergemeinschaft“ findet sich erst im Frühneuhochdeutschen: dis sint di willekoren und di gesetze der weber und irre gewerken in der stadt zcum Colmen (1379 CDPruss. III 185, DRW s.v. Gewerk) „das sind die Beschlüsse und Gesetze der Weber und ihrer Gewerke in der Stadt zum Colmen“. Sie beruht auf einer Metonymie PRODUKT > Gruppe der PRODUZENT(EN) und ist sicher auch von mhd./frnhd. gewerke m. „Handwerks-, Zunftgenosse; Teilhaber an einem Bergwerk“ beeinflusst. Benennungsmotiv ist hier das gemeinsame Interessen auf der Grundlage derselben Handwerkstätigkeit.

Adelung: Adelung, Johann Christoph 1793-1801: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Leipzig. Elektronische Volltext- und Faksimile-Edition nach der Ausgabe letzter Hand. Berlin: Directmedia 2004. (Digitale Bibliothek 40). online unter http://woerterbuchnetz.de/Adelung/.
Beekes, Robert S.P. 2009: Etymological Dictionary of Greek. Amsterdam: Brill, s.v. érgon.
DRW: Deutsches Rechtswörterbuch. http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/, vor allem s.v. Gewerkschaft
DWb: Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
EWA: Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, s.v. giwerc.
FrnhdWb: Goebel, Ulrich/Reichmann, Oskar 1986–: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Begr. von Robert R. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann. Bd. 1–. Berlin u.a.: de Gruyter.
Kluge, Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.vv. Gewerkschaft, Werk, wirken.
LIV: Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert-Verlag, s.v. 2. *u̯erg̑-.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.vv. Gewerkschaft, Werk.
Wagenbreth, Otfried/Wächtler, Eberhard/Becke, Andreas 1985: Der Freiberger Bergbau: technische Denkmale und Geschichte. Leipzig: Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie.

Autorin: Bettina Bock