Etymologie

Abort

Die Bezeichnungen für den „Ort zur Verrichtung der Notdurft“ (Pfeifer) sind oft aus Tabu­gründen verhüllend und werden häufig durch neue Bildungen ersetzt (siehe Kapitel 3.5). Als Erstbeleg für Abort m. in der Bedeutung „Toilette“ wird im DWb2 ein Beleg von 1755 gebucht: an eenen af-ort gahn (Richey id. hamb. 3). Das Wort ersetzt dabei älteres Abtritt, das insbe­son­dere von der Mitte des 16. bis ins 19. Jh. gebräuchlich war. Die Verwendung nimmt zur Mitte des 19. Jh. zu, allerdings v.a. auf den öffentlichen Raum und damit die Behör­den­sprache bezogen und im nieder- und mitteldeutschen Sprachgebiet (vgl. auch den Erst­beleg, der auf eine Entstehung in diesem Raum verweist). Zum Ende des 20. Jh. wird Abort von Toilette und Klo sowie WC (schriftsprachlich) wieder zurückgedrängt. In der Be­deutung „abgelegener Ort“ ist das Wort im Niederdeutschen auch schon früher be­legt: is ist up einem aforde edder lande .. und de möllen kemen to schaden, und de mölen­herren fingen nicht to buwende .., dar magh de buwen, wer könde (Normann rüg. landrecht 108 F; DWb2 s.v. Abort). Benen­nungsmotiv und zugleich Motiv für die metaphorische Übertragung ist, dass Toiletten frü­her außerhalb von Wohnungen und Häusern, also weiter entfernt, lagen. Bei Abort han­delt sich um ein Determinativkompositum: ab (Präposition, Adverb, Präfix) < mhd. ab < ahd. ab geht auf urgerman. *aƀ zurück, das zusammen mit ai. ápa „weg, fort“, av., apers. apa, gr. apó „von, weg“, lat. ab (mit verallgemeinertem b < p vor nachfolgendem Vokal) „von“ auf uridg. *h2epo „weg“ basiert. Ort < mhd. ort „äußerster Punkt nach Raum und Zeit, Anfang, Ende; Spitze (besonders einer Waffe, eines Werkzeugs): Ecke; Rand; Himmelsgegend; Platz, Stelle“ < ahd. ort „Spit­ze; Endpunkt; Ecke“ (8. Jh.) führt zusammen mit as. ord „Spitze“, mndd. ort, mndl. ort, oort „Punkt; Kante; Rand; Ecke“, ndl. oord „Gegend, Land, Stelle, Platz“, aengl. ord, anord. oddr „Spitze; Speer; Anführer“, schw. udd „Spitze“ auf urgerman. *uzđa- „Spitze“ < vorurgerm. *us-dho-. Die weitere Herkunft ist ungewiss. Unter an­derem wurden alb. usht „Ähre“, lit. usnìs „Distel“, lett. usne „Acker-, Saudistel“, air. fennaid (aus *u̯esnāti) „schindet“ herangezogen und eine Wurzel uridg. *u̯es- „ste­chen“ erschlossen. Die Betonung auf der Endsilbe – Abórt – könnte auf den Einfluss von Fremd­wörtern aus dem Französischen mit gleicher Bedeutung wie Privet, Secret zurück­zuführen sein und der Verhüllung dienen (vgl. aber jüngeres [stilles] Örtchen [19. Jh.]).
Benennungsmotiv für Grundbedeutung und Bezeichnung im Wortfeld „Haus“ ist das Merkmal <IST: fern der Wohnräume gelegen>.

Adelung, Johann Christoph 2004: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Elektronische Volltext- und Faksimile-Edition nach der Ausgabe letzter Hand. Leipzig, 1793–1801. Berlin: Directmedia. (Digitale Bibliothek; 40). Online unter: http://woerterbuchnetz.de/Adelung, s.vv. Abort, Privet, Secret.
DWb2: Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1965–: Deutsches Wörterbuch. Neubearb. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1. Leipzig, (später) Stuttgart: Hirzel.
EWA: Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, s.v. aba.
Kluge, Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.v. Abort.
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Autorin: Bettina Bock