Etymologie

Auge

Ahd. ouga, mhd. ouge und nhd. Auge stimmen mit asächs. ōga, mnd. ōge, mnl. ōghe, nl. oog, aengl. ēage, engl. eye, anord. auga, schwed. öga, dän. øje, got. augō (alle ntr.) überein und gehen auf urgerm. *auǥan- "Auge" zurück (Casaretto 2004: 227f.). Diese Form setzt nicht genau das urindogermanische Wort für Auge, *h3okwṓn-, fort, da dieses zu germ. *aǥan- hätte führen müssen. Das urgermanische Wort ist daher entweder durch Kontamination des Anlauts von erwartetem *aǥan- "Auge" mit urgerm. *auzan- "Ohr" (vgl. die armen. Parallelbildung own-kn "Ohr" nach akn "Auge"; so schon Gröger 1911: 20) entstanden oder durch Kontamination der lautgesetzlichen Nominativform mit der lautgesetzlichen Genitivform: uridg. Nom. Sg. *h3okwṓn > urgerm. *aǥōn und uridg. Gen.Sg. *h3okwén-s > vorurgerm. *wen-s > urgerm. aen-s (Schaffner 2001: 581 Anm. 314; ähnlich EWD s.v. Auge und Gröger 1911: 20f.). *aǥōn und *au̯en-s sind dann zu Nom. *auǥōn, Gen. *auǥens umgestaltet worden. In Komposita haben sich aber die verschiedenen Formen erhalten: ahd. auga-zoraht (aus urgerm. *auǥu̯ōn-) neben awe-zoraht, au-zorht (aus urgerm. *aǥu̯n-) und aga- in agawisfirinâri (aus urgerm. *ī-). Auch der alte Dual uridg. *h3okwih1 ist in awizoraht noch zu erkennen (vgl. Gröger 1911: 21). Entsprechungen aus andern idg. Sprachen: Im Altindischen haben sich ein i-St. und ein n-St. vermischt, daher N.Akk.Sg. aind. ákṣi, Gen. akṣṇás. Schon alt ist neben dem n-St. auch der i-St., wie aind. ákṣi neben lit. akìs Auge" sowie der aksl. Dual oči (<*h3okwih1) "beide Augen" und der griech. Dual ósse (< *h3okwi̯h̥1) "beide Augen" zeigen (EWAia I, 42f).

Literatur:
Casaretto, Antje: Nominale Wortbildung der gotischen Sprache. Die Derivation der Substantive. Heidelberg: Winter 2004.
Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988–.
Gröger, Otto: Die althochdeutsche und altsächsische Kompositionsfuge mit Verzeichnis der althoch-deutschen und altsächsischen Composita. Zürich: Zürich & Furrer 1911.
Schaffner, Stefan: Das Vernersche Gesetz und der innerparadigmatische grammatische Wechsel des Urgermanischen im Nominalbereich. Innsbruck: Inst. für Sprachen und Literaturen 2001 (Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft 103). 

Autorin: Sabine Ziegler