Etymologie

Gilde

Gilde f. ist bereitsim 8. Jh. belegt, in der latinisierten Form gelda/gilda f. und weitergebildet in der Ableitung geldonium/gildonium n. Es handelt sichum ein ursprünglich niederdeutsches bzw. altsächsisches Wort, vgl. mndd. gilde f./n./m. „Festschmaus, Festlichkeit(der Bruderschaften und Ämter), genossenschaftlicher Zusammenschluss fürgemeinsame Leistungen, Bruderschaft (von Handwerkern, Kaufleuten,Glaubensgenossen), Zusammengehörigkeit, Schar“, mndl. ghilde, ndl. gilde,aengl. gyld und gegyld, anord. gildi n. „Bezahlung; Gastmahl; Gesellschaft“.Zugrunde liegt urgerm. *ǥelđ-ija-,entweder ein Verbalabstraktum aus vorurgermanischer Zeit, eine ursprünglichneutrale sekundäre Abstraktbildung zu einem Konkretum oder ein substantiviertesZugehörigkeitsadjektiv, vgl. Krahe/Meid 1967: § 74. Die Schwankungen im Genus(Femininum im Althochdeutschen vs. Neutrum im Altnordischen) sprechen für einursprüngliches Zugehörigkeitsadjektiv, das mit unterschiedlichem Genussubstantiviert wurde. Als Ableitungsbasis kommt ein Vorgänger von ahd. geltn. a-St. (8./9. Jh.) „Abgabe, Zins, Geldstrafe, Entgelt,Einkommen, Betrag, Vermögen, Gegenleistung, Opfer“ in Frage, vgl. ferner:asächs. geld, mndd. gelt;mndl. gelt; afries. ield, geld; aengl. gield; aisl. gjald; got. gild.Dieses Nomen gehört zur Wurzel urgerm. *ǥelđ-aus uridg. *gheldh-„büßen, strafen“, die allenfalls noch in aksl. žlědo, žlěstiund žlado, žlasti „abzahlen, vergelten“ belegt ist (erwogen wirdnämlich auch Entlehnung aus dem Germanischen). Dem Wort ahd. gelt entsprechen got. gild „Steuer“, anord. gjald „Gabe, Lohn, Tribut“, aengl. gield „Buße, Geld“, afries. ield, geld „Kaufpreis“, asächs. geld„Vergeltung, Lohn, Opfer“ aus einer e-stufigenAbleitung *ǥelđ-a- „Bußleistung;Entgelt; Geld“. Grundbedeutung für das substantivierte Zugehörigkeitsadjektivwäre dann *„das mit einer Bußleistung/Entgelt/Geld Verbundene“.
Wennes ursprünglich um eine Bezeichnung einer Bußleistung ging, so liegt einreligiöser Kontext – heidnisch oder christlich – nahe. Für diese Annahmesprechen frühe Belege wie von Hinkmar von Reims (9. Jh.): Ut decollectis, quas geldonias vel confratrias vulgo vocant, […] ultra nemo nequesacerdos neque fidelis quisquam in parrochia nostra progredi audeat. (1. Kapitular, Kapitel 16) „ZumBeispiel was die Zahlgemeinschaften, die sie gemeinhin Gilden oderBruderschaften nennen, betrifft, […] so soll weiterhin kein Priester oderGläubiger in unserem Sprengel es wagen, dorthin zu gehen.“ Es ist aber mehrfachdarauf hingewiesen worden, dass aus solchen Textstellen, die zumeist auch miteiner Kritik an den Gastmählern der Gilden einhergehen, nicht auf eineursprünglich heidnische Opfergemeinschaft geschlossen werden kann, so z. B. bei Pfeifer s.v. Vielmehrhandelt es sich dabei um Topoi von Kirchenpolitikern, die „in einer langenTradition entschieden negativer Einstellungen zum Essen und Trinken, zuprofaner Geselligkeit und Unterhaltung, zu Witz und Scherz, zu Spiel, Tanz undszenischen Vorführungen“ (Oexle 1985: 163) standen. Wahrscheinlich erschienihnen schon die Existenz solcher weder von der kirchlichen noch von derweltlichen Macht kontrollierten Gemeinschaften gefährlich, vgl. Oexle 1985:164.
AndereBelege dieser Zeit sprechen für einen Ursprung, der solche „Einungen“ näherbeschreibt: ne collectam faciant, quamvulgo geldam vocant, contra illos, qui aliquid rapuerint (mon. urgerm.hist. leges II 2, 375, DWb s.v.) „damitsie keinen Zusammenschluss machen, den sie volkssprachlich Gilde nennen, gegen diejenigen, die etwas geraubt haben“ (884),vgl. auch afrz. gelde f.„Soldatentrupp; Gemeinschaft, Bruderschaft; Vereinigung von Handwerkern undKaufleuten“, wobei für die Bedeutung „Soldatentrupp“ Entlehnung aus demAltniederfränkischen angenommen wird, während die Bedeutung „Vereinigung vonHandwerkern und Kaufleuten“ wohl durch Vermittlung durch das Mittellateinischeaufgekommen ist (vgl. TLF s.v. guilde).Diese Schutzfunktion passt auch zum Bild der für England bezeugten Gilden, vgl.Gerchow 1988: 72–80. Die Zeugnisse aus England sprechen allerdings dafür,dass, anders als unter karolingischer Herrschaft, hier die Gilden alsOrganisationsform sehr geschätzt wurden. Eine interessante Parallele findetsich in den siebenbürgischen Nachbarschaften,deren Traditionslinie mit der Einwanderung der ersten Deutschen in densüdlichen Karpatenbogen Ende des 11. Jh. beginnt. Diese Nachbarschaftendienten und dienen in der von den Machtzentren weit entfernten Region, in derzudem verschiedene Völkerschaften zusammenleben, dem Schutz und demZusammenhalt der Gemeinschaft. Sie zeichnen sich durch ein Regelsystem aus, dasviele Lebensbereiche von einer moralisch einwandfreien Lebensführung über dieReligion bis zur Hilfe im Notfall umfasst. Auch die Geselligkeit kommt nicht zukurz, vgl. zu diesen Nachbarschaften Koch 2010.
ZentralesElement sowohl der altenglischen Gilden (vgl. Gerchow 1988: 75 f.) als auch dersiebenbürgischen Nachbarschaften (vgl. insbesondere Koch 2010: 52–54) ist dieLeistung von Geldzahlungen, sei es, dass man zur Hilfe für einen Einzelnenzusammenlegt, sei es, dass Fehlverhalten mit Geldstrafen geahndet wurde. SolcheHilfe für den Einzelnen ist auch für die karolingischen Gilden bezeugt: de sacramentis per gildonia invicemconiurantibus, ut nemo facere praesumat. alio vero modo de illorum elemosinisaut de incendio aut de naufragio, quamvis convenentias faciant, nemo in hociurare praesumat (mon. urgerm. hist. leges II 1, 51, DWb s.v.) „hinsichtlich der durch Eid in Gildenwechselweise Schwörenden – dass niemand das zu machen wage. In anderer Weiseaber hinsichtlich ihrer Almosen nach einem Feuer oder einem Schiffbruch sollensie beliebig Vereinbarungen machen, niemand soll wagen darauf zu schwören“(779). Wenn die Geldzahlung bei diesen Vereinigungen nun in der Tat konstitutivwar (wofür zusätzlich das lateinische Pendant collecta, eigentlich „Geldsammlung“, spricht), so liegt eineGrundbedeutung „das mit einer Geldzahlung Verbundene“ nahe. Damit ist aberzugleich diese Organisationsform an eine Gesellschaft geknüpft, in der derGeldverkehr schon verbreiteter ist. Benennungsmotiv für Gilde ist somit die Opfergemeinschaft oder Straf- undSchutzgemeinschaft.
Nichterweisbar ist dagegen die Verbindung mit einem abschließenden Trunk zurBekräftigung eines Rechtsgeschäfts (so erwogen Duden s.v.).
Dieverschiedenen Aspekte „Schutzgemeinschaft“/„religiöse Gemeinschaft“/„Gastmahl“sind alle metonymisch im Frame der Gilde enthaltenund lassen sich daher nicht voneinander trennen. Eine jüngere Entwicklung ist hingegen die Bedeutung „Berufsverband“.Ansätze dafür könnte es aber schon früh gegeben haben. So weist die Katastropheeines Schiffbruchs, die in dem Beleg von 779 erwähnt wird, einen deutlichenBezug auf Kaufleute auf, denn Schiffbruch betrifft vor allem sie und bedrohtsie mit Ruin. Ferner dürfte der Geldverkehr unter Kaufleuten besondersverbreitet gewesen sein. Schließlich sind auch in anderen QuellenGruppenbildungen von Kaufleuten „auswärts und zu Hause“ (Sprandel 1985:27) für das frühe Mittelalter bezeugt.Es empfiehlt sich daher, die Trennung von Kaufmanns-Gildeund Handwerker-Zunft nicht nurfür die Neuzeit vorzunehmen (vgl. Schmidt-Wiegand 1985: 52 oder Irsigler1985: 70), sondern eine engereVerbindung von Kaufleuten und Gilden schon im frühen Mittelalter zupostulieren.
Mit der Übertragung auf Handwerkervereinigungenkonkurrierte Gilde, von Nordenaus sich im deutschen Raum ausbreitend, mit Innung, Zunft und anderen Wörtern.

Casaretto, Antje 2004: Nominale Wortbildung der gotischen Sprache. Die Derivation derSubstantive. Heidelberg: Winter, 74 f.
Duden: Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion(Hg.) 2000: Duden – Das große Wörterbuch.Mannheim: Verlag Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG. CD-ROMauf der Basis der 3., völlig neu bearb. und erw. Auflage der Buch-ausgabe in 10Bänden (1999).
DWb: Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (undQuellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999:Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Derdigitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter:www.woerterbuchnetz.de.
EWA: Lloyd, AlbertL./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–.Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, s.vv. gelt, geltan.
Gerchow,Jan 1988: Die Gedenküberlieferung derAngelsachsen: mit einem Katalog der „libri vitae“ und Necrologien. Berlinu.a.: de Gruyter. (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung; 20).
Irsigler,Franz 1985: „Zur Problematik der Gilde und Zunftterminologie“. In: Schwineköper, Berent (Hg.): Gildenund Zünfte: kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohenMittelalter. Sigmaringen: Thorbecke. (Vorträge und Forschungen. KonstanzerArbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte; 29), 53–70.
Kluge,Friedrich 2002: Etymologisches Wörterbuchder deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 24.,durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter, s.v. Gilde.
Koch,Marianne 2010: „Die Nachbarschaften der Siebenbürger Sachsen – Sinnbild desSelbstbehauptungswillens und der Zusammengehörigkeit“. In: Bock,Bettina/Lăzărescu, Ioan/Lühr, Rosemarie (Hgg.): Wahrheit, Recht, Verantwortung. Normen- und Wertbegriffe iminterkulturellen Raum. Akten der internationalen Arbeitstagung „Normen- undWertbegriffe in der Verständigung zwischen Ost- und Westeuropa“, 20.-21. März2009 in Bukarest. Bukarest: Editura universitãţii din Bucureşti.(GGR-Beiträge zur Germanistik; 25), 47-62.
Krahe,Hans/Meid, Wolfgang 1967: GermanischeSprachwissenschaft. Bd. 3:Wortbildungslehre. Berlin: de Gruyter.
LIV: Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV;die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix undder Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp,Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel undHelmut Rix. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert-Verlag, s.v. *gheldh-.
Oexle,Otto Gerhard 1985: „Conjuratio und Gilde im frühen Mittelalter. Ein Beitrag zumProblem der sozialgeschichtlichen Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter“.In: Schwineköper, Berent (Hg.): Gilden und Zünfte: kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften imfrühen und hohen Mittelalter. Sigmaringen: Thorbecke. (Vorträge undForschungen. Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte; 29), 151-214.
Pfeifer: Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen.2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl., s.v. Gilde.
RGA:Reallexikonder Germanischen Altertumskunde 1973–. Berlin u.a.: de Gruyter, Bd.12, s.v. Gilde.
Schmidt-Wiegand,Ruth 1985: „Die Bezeichnungen Zunft und Gilde in ihrem historischen undwortgeographischen Zusammenhang“. In: Schwineköper, Berent(Hg.): Gilden und Zünfte: kaufmännischeund gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter.Sigmaringen: Thorbecke. (Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis fürMittelalterliche Geschichte; 29), 31-52.
Sprandel, Rolf 1985: „Handel und Gewerbe vom6.-11. Jahrhundert“. In: Schwineköper, Berent (Hg.): Gilden und Zünfte: kaufmännische undgewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter. Sigmaringen:Thorbecke. (Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis fürMittelalterliche Geschichte; 29), 9–30.
TLF: LaTrésor de la Langue Française informatisé.http://atilf.atilf.fr/.

Autorin: Bettina Bock