Etymologie

Hocker

Hocker m. „Sitzmöbel ohne Lehne, Schemel“ ist in dieser Bedeutung erst im Neu­hoch­deutschen bezeugt, im Älteren Neuhochdeutschen sind folgende Bedeu­tun­gen nach­­weisbar: 1. „Person, die sich zusammenkauert“, z.B. in Komposita wie Stu­ben­hocker oder Ofenhocker und 2. „Person, die Garben in Hocken legt“. Es handelt sich also bei nhd. Hocker um ein Nomen instrumenti „Möbel, worauf man sich hockt“, bei änhd. Hocker um ein Nomen agentis „Person, die hockt“. Beide Wörter sind von nhd., änhd. hocken, hucken „sich zusammenkauern; in gebückter Stellung eine Last auf­nehmen“ abgeleitet, das eine Inten­sivbildung mit Stamm­auslauts­gemination oder Analogiebildung aufgrund des Reimes mit den bedeutungsähnlichen Verben (sich) ducken oder (sich) bücken von mhd. ­chen, frnhd. hauchen „hocken, sich kau­ern“ darstellt. Dazu gehören mndd., mndl. hūken „niederkauern, sich ducken“ und anord. húka „kauern“. Hocke „Getreide­garbe“, Hucke „Rücken“ und Höcker „Buckel, Hervorwölbung am Rücken“ er­wei­sen eine ursprüngliche Bedeutung „Wölbung, her­vorstehende Rundung“. Aus­gehend von der Bedeutung „in gebückter Stellung eine Last aufnehmen“ lassen sich die Bedeutungen Hucke „auf dem Rücken getragene Last; Lastkorb“ und Huckepack in jmdn. Huckepack nehmen „jmdn. auf dem Rücken tragen“ erklären. Mög­licherweise hat sich die Va­rian­te hocken, hucken gegenüber regelgerechtem hauchen durchgesetzt, um die Homonymie mit hauchen „Atem entweichen lassen, blasen“ zu vermeiden. Mhd. hûchen, an. húka gehen auf eine Wurzel urgerman. *χūk- zurück, die auf ein uridg. Transponat *(k)uHg- weist. Aufgrund der struktu­rellen Beschränkungs­regeln für ur­indo­germanische Wurzeln ist nur eine Vollstufe *(k)eHg- möglich. Unter Annah­me einer Wurzel­erweiterung mit ‑g- ist eine Seg­mentierung *(k)uH-g- und somit auch eine Vollstufe *(k)euH‑g- neben *(k)eH-g- denkbar. Wahrscheinlich liegt letztlich die uridg. Wurzel *keh1- „anschwellen, sich wölben“ vor, die in gr. kyéō „schwan­ger sein“ und dem Part. Aor. Med. kȳsaménē „schwanger“, lat. in-ciēns „trächtig“ sowie in der ai. Wurzel śavi- „anschwellen, stark werden“ vorliegt. Außer im Altindischen wird in den meisten Belegen und Ableitungen dieser Wurzel das An­schwellen von Körpern bzw. Körperteilen bezeichnet.

Literatur:
Beekes, Robert S.P. 2009: Etymological Dictionary of Greek. Amsterdam: Brill.
Goebel, Ulrich/Reichmann, Oskar 1986–: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Begr. von Robert R. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann. Bd. 1–. Berlin u.a.: de Gruyter.
Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main: Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Karg-Gasterstädt, Elisabeth u.a. 1952–: Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftr. der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings. Bd. 1–. Berlin: Akad.-Verl.
Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866. Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2., erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix. Wiesbaden: Reichert.
 
Autorin: Sabine Ziegler