Etymologie

Kohl

Kohl (2) "Unsinn, dummes Zeug"
Im Neuhochdeutschen gibt es ein Wort Kohl mit der Bedeutung "Unsinn, dummes Zeug", das in zahlreichen Etymologica von Kohl (1) "Brassica" getrennt" und auf ein gaunersprachliches, letztlich jiddisches Wort kol "Gerücht, Gerede" zurückgeführt wird (Pfeifer 1993: 687; Duden 2013: 425; Kluge/Seebold 2011:512). Dies sei seit dem 18.Jh. bezeugt.
Nicht berücksichtigt ist dabei allerdings die merkwürdige Koinzidenz des regionalen, vor allem rheinländischen Wortes Kappes, das ebenfalls "Weißkohl" und "Unsinn" bedeutet. Kluge/Seebold 2011: 512 vermutet hier Bedeutungsentlehnung. Demnach müsste zunächst ein gaunersprachliches Wort volksteymologisch an Kohl "Brassica" angeglichen und dann in einer Region, die für "Kohl, Brassica" üblicherweise die Wörter Kraut oder Kappes verwendet, gewissermaßen übersetzt worden sein. Ein solcher Vorgang wäre aber ohne Parallelen, und die Annahme einer Volksetymologie ist, wie die Wortgeschichte zeigt, auch durchaus entbehrlich.
Tatsächlich gibt es schon im 17.Jh. Reflexe einer letztlich auf Juvenal (7,154) zurückgehenden Redewendung, die die stupide Wiederholung des ewig Gleichen mit dem Aufwärmen von Kohl vergleicht:
nam quaecumque sedens modo legerat, haec eademstans,
perferet atque eadem cantabit versibus isdem;
occidit miseros crambe repetita magistros
"Denn was einer im Sitzen gerade gelesen hat, dasselbe wird er stehend vortragen, und dazu wird er dasselbe im gleichen Satzbau ableiern: Der immer wieder aufgewärmte Kohl erschlägt die armen Lehrer."
Die Juvenalische Wendung Crambe bis cocta wird in Lexika definiert als: "ein aufgewärmter Kohl/ eine Sache die doppelt und offt gesaget wird" (Marperger, Der allzeit-fertige Handels-Correspondent,1717), und der Ausdruck - Phraseologismus kann man es wegen der flexiblen Formulierungen nicht nennen - wird in zahlreichen Wendungen variiert:
die trauteNachtigal kan überemsig singen. / Sie träget auf den Tisch nicht zwiergekochte Speise / nicht aufgeglüten Köhl den Ohren zum Verdruß / verwechselt meisterlich die klagversüste Weise (Klaj,Irene, 1650).
Er isset lieber Speise / Die frisch gekochet ist / nach seiner öfftern Weise / Jn seines Nachbarn Hauß / als auffgewärmten Kohl Daheim (Neumark, Poetisch- und Musikalisches Lustwäldchen, 1652).
"Wir wollen unsern Aristoteles weiter hören: 'Die Trauerspiele der meisten Neuern sind ohne Sitten, es bleiben darum ihre Verfasser immer Dichter' (in unsern Zeiten durchaus nicht mehr, Handlungen und Schicksale sind erschöpft, die konventionellen Charaktere, die konventionellen Psychologien, da stehen wir und müssen immer Kohl wärmen, ich danke für die Dichter) (Lenz, Anmerkungen übers Theater, 1774).
Wenn ich nüchternen Muts gewesen, wär's vielleicht nicht so weit kommen, aber – wärm mir den alten Kohl nicht wieder auf, kurz und gut (Lenz, Der neue Menoza, 1774).
Ach, meineGnädige, ist es nicht ein Unglück für einen armen Erzähler, daß er immerfort die alten Geschichten wieder aufwärmen muß? Die Sachen, die ich da berichte, schienen schon vor fünfzig Jahren durch die Romanenschreiber jener Zeiten so verbraucht zu sein! Und ich muß den längstgekochten Kohl doch wieder zum Feuer rücken! (Immermann, Münchhausen,1838-39).
Ausgehend von dieser Metapher entwickelt sich Kohl, als Alltagsgemüse und Speise der armen Leute ohnehin nicht sonderlich positiv konnotiert, zur Metapher für "Banalität, Kleinkram, langweiliges Zeug", z.B.
Nach dem strich er viel umher, hatte die Nas' hier und andererorten in jedem Kohl und suchte sich von seinen Schreibereien kümmerlich zu ernähren (Immermann, Münchhausen, 1838-39),
und von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu "Unsinn, Gerede", z.B.
Über den Namen der guten Stadt Kitzingen am Main, Geburtsort des berühmten Theologen Eber, Melanchthons rechte Hand, haben dieSprachdiftler so viel Abgeschmacktes zusammenetymologisiert und ihren Kohl hernach als Sage ausgegeben, daß einem übel und weh von solcher losen Speise werden mag (Bechstein, Deutsches Sagenbuch, 1853).
Was die Gelehrten reden, ist nur Kohl, / Denn eine taube Nuß ist ihr Symbol (Hille, Blätter vom fünfzigjährigen Baum,1916).
Die Annahme eines Homophons oder einer Volksetymologie für Kohl in der Bedeutung "Unsinn, dummes Zeug" ist demnach entbehrlich.

Lit.:
Duden 2013: Duden, Band 7: Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache von der Dudenredaktion, 5. Auflage, Mannheim: Bibliographisches Institut.
Kluge/Seebold 2011: Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearbeitet von Elmar Seebold, 25. Auflage, Berlin: de Gruyter.
Pfeifer 1993: Wolfgang Pfeifer, EtymologischesWörterbuch des Deutschen, 2. Auflage, Berlin: Akademie-Verlag.