Etymologie

Stiefel

Mhd. stival, stivâl, stivel, mndd. stevel, stavel, mndl. stevel, entlehnt aus afrz. estival, estivel mit seinerseits strittiger Etymologie.
Nach Kluge/Seebold 2011: 884 ist die Grundbedeutung von afrz. estival, estivel „sommerlich“, das Wort sei also ursprünglich die Bezeichnung für einen über den Knöchel reichenden Sommerschuh. Dagegen hält Pfeifer 1993: 1361 das afrz. Wort für eine Ableitung von afrz. estive „Bein, Flöte“, das letztlich auf lat. stīpes „Pfahl, Stock, Stange“ zurückgehe; der Stiefel wäre nach dieser Deutung, die letztlich auf Meyer-Lübke 1935: 682f. beruht (vgl. auch FEW s.v. stīpes), ursprünglich ein „Beinling“ gewesen.
Beide Erklärungen sind lautlich möglich, so dass eine Entscheidung nur auf semantischer Ebene möglich ist. Für die Deutung als „Sommerschuh“ spricht zum einen, dass die „Stiefel“ ursprünglich keine knielangen Schäfte hatten, sondern lediglich über die Knöchel reichten (Vavra in LexMA 2002: 1573f. s.v. Schuh). Ferner ist nachweisbar, dass die aetivalia als Nebenform der caligae in geistlichen Kreisen zum Schutz bei sommerlichen Arbeiten und auf Reisen getragen wurden (so z.B. schon Augusti 1836: 326, Heyne 1903: 286f.). Man hat daher nicht an den späteren langschäftigen Reiter- oder Soldatenstiefel zu denken, sondern an einen den Knöchel schützenden Halbstiefel, der ggf. zusätzlich mit einem ledernen Beinling kombiniert werden konnte. Das spricht eindeutig gegen eine Deutung, bei der der Beinling das Primäre am Stiefel sein müsste.

Augusti 1836: Johann Wilhelm Christian Augusti, Handbuch der christlichen Archäologie Band 1, 1836.
FEW: Walter von Wartburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, Basel: Zbinden, 1928ff. (https://apps.atilf.fr/lecteurFEW/)
Heyne 1903: Moritz Heyne, Körperpflege und Kleidung bei den Deutschen.
Kluge/Seebold 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Auflage, Berlin: de Gruyter.
LexMA: Lexikon des Mittelalters, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2002.
Meyer-Lübke 1935: Wilhelm Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch, 3., vollständig neubearbeitete Auflage, Heidelberg.
Pfeifer 1993: Wolfgang Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2. Auflage, Berlin: Akademie-Verlag.
FEW: Walter von Wartburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, Basel: Zbinden, 1928ff. (https://apps.atilf.fr/lecteurFEW/)