Totschlag
Totschlag m. „Tötung eines
Menschen, für die das Gericht im Unterschied zum Mord keine niedrigen
Beweggründe geltend macht“, ab dem 13. Jh. nachweisbar in mhd. tôtslac (sô sol ein voget rihten über tôtslac
unde wunden; Schwabenspiegel S. 8, nach BMZ; und
ist er beklaget umb den totschlag oder umb raub oder umb
diepstal oder umb wunden oder umb ander fräffelin so sol der richter ächten und
sol dem klager richten auff sein gut; Schwabenspiegel Kap 13, Jüngere Augsburger Abschrift von 1473,
http://www.opera-platonis.de/Capitulum1-148.htm, gesehen am 31.7.2014), frnhd. tod(t)schlag (der wegen lerne die Busse recht
verstehen / eenn daran jrren viel Leute / daß sie meynen / das sey rechte Busse
/ wenn sie von eusserlicher Abgüttery / Gottslesterung / Todschlag
/ Ehebruch / Vnzucht / Dieberey / vnd andern groben eusserlichen Sünden
abstehen; Johann Arndt, Von wahrem Christenthumb,
Magdeburg 1610, nach DTA). Bis zum Ende des 19. Jh.s bedeutet Totschlag auch „Mord,
absichtliche Tötung eines Menschen“.
Der semantische Unterschied zwischen
beiden Wörtern lag ursprünglich in der Heimlichkeit einer Tötung. Eine solche
Tat wurde eher, aber nicht ausschließlich, mit dem Wort Mord bezeichnet. Ahd. mord glossiert z.B. lat. homicīdium
„Totschlag, Tötung eines Menschen“ und zeigt, dass der Begriff hinsichtlich
der Heimlichkeit oder Absicht einer Tötung nicht eindeutig ist. Im Römischen
Recht wird die Kollokation homicīdium praemeditātum „vorbedachter,
vorbereiteter Totschlag“, bei Drakon phónos ek prónoia
„Tötung aus Vorbedacht“, verwendet, die der modernen Vorstellung von Mord am
nächsten kommt. Ein Mord im Affekt wurde dagegen strafrechtlich milder
behandelt. Erst 1894 im Vorentwurf zu einem schweizerischen Strafgesetzbuch
werden objektivierbare Motive, Zwecke und Tatmittel aufgeführt, um den
Tatbestand des Mordes von dem des Totschlags zu unterscheiden. Seit Februar 2014 wird in Regierungskreisen sowie von
Vertretern der Justiz heftig über eine Änderung des sogenannten Mordparagrafen
§ 211 diskutiert, s. dazu die Ausführung im Artikel Mord. Das von Totschlag abgeleitete Nomen agentis Totschläger m. ist seit dem Frühneuhochdeutschen bezeugt.
Totschlag ist ein Kompositum aus dem Adjektiv tot
und Schlag bzw. eine Substantivierung einer Junktur jemanden tot schlagen. Mit tot vgl. got. dauþs, anord. dauðr, aengl. dēad,
nengl. dead, afries. dāth, asächs. dōd, nndl. dood,
alle „tot“ < urgerman. *dauđa- < uridg. *dhouh2-tó-;
ahd. tōd, tōt, got. dauþus, anord. dauðr, aengl. dēaþ,
asächs. dōð, afries. dāth alle „Tod“ < urgerman. *dauþu-
m. „Tod“ < uridg. *dhóuh2tu-. Mit uridg. *dhouh2-tó-,
Part. Perf. Pass. bzw. Verbaladjektiv, uridg. *dhóuh2tu-
Verbalabstraktum zur Wurzel uridg. *dheuh2-
„enden, aufhören“ (anord. deyja, aengl. dīegan, nengl. to
die, asächs. dōian, ahd. touwen, tewen alle „sterben“
< urgerman. *dau-ja(n)‑ < uridg. Kausativ *dhouh2-éie/o-; LIV²: 148 setzt die Formen ohne
Laryngal an und identifiziert die germanischen Wörter mit dem Verb *dhe-
„laufen, eilen“)
vgl. heth. tuhhuszi „enden, aufhören“ (Kloekhorst 2008: 893, ohne Etymologie), lat. fūnus n. „Beerdigung; Tod, Verderben“ < uridg. *dhuh2-n-es/os- (als
Möglichkeit bei de Vaan 2008: 251 neben anderen Herleitungen erwähnt).
Nhd. Schlag m., ahd. slag(i), mhd. slac,
aengl. slege, got. slahs < urgerman. *slagi- gehört als
Abstraktum zum Verb nhd. schlagen (mit Verallgemeinerung des durch
grammatischen Wechsel entstandenen g, regelgerecht z.B. im Part. ge-schlagen,
mhd. ge-slagen, im Neuhochdeutschen), mhd. slahen, ahd. slahan st.V. (6. Klasse)
„schlagen, hauen; klatschen“, asächs. slahan, got. slahan, anord. slá,
aengl. slēan < urgerman. Prs. *slaχ-e/a-,
Prät. *slōǥ- (> ahd. sluog),
Part. Perf. Pass. *slaǥ-ena- (> ahd. gi-slagen) mit grammatischem Wechsel aufgrund von Verners Gesetz. Ausgehend
vom Prät. urgerman. *slōǥ-, das einen uridg. Wurzelaorist *sleh2k-'
fortsetzt, wurden der Präsensstamm und das Partizip nach dem Muster anderer
Verben der 6. Klasse (z.B ahd. faran,
fuor, gi-faran) geneuert, also die kurzvokalischen Formen *slaχ-e/a-
und *slaǥ-ena- anstelle von lautgesetzlich erwartetem urgerman. *slōχ-e/a-
(< uridg. *sléh2k-e/o-) und urgerman. *sulǥ-ena- (~
uridg. *sh2k-nó-) hinzugebildet. Eine
genaue Parallele ist ahd. (h)ladan, Prät. luod, Part. Perf.
Pass. gi-ladan „beladen, aufladen“, dessen Prät. luod auf
urgerman. *χlōđ- < uridg. Wurzelaor. *kleh2t'-
„hinbreiten, hinlegen“ zurückgeht
(vgl. EWA V:
949 ff.). Dabei deuten der griech. Aorist élake 3.Sg.
„klatschte, lärmte, krachte“ sowie das griech. Perfekt lélēke 3.Sg. „hat
gekracht“ auf eine Wurzel mit s-mobile uridg. *(s)leh2k-
„lärmen, krachen, klatschen, hauen“ (LIV²:
402 s.v. *leh2k-). Das bisher nur im Griechischen bezeugte
Verb wird nunmehr aus seiner Isolation gelöst und durch die germanischen
Sprachen gestützt. Die bisher angenommene Verbindung (z.B. EWD und Pfeifer) mit
den altirischen Formen slacc „Schwert“ (DIL s.v. slacc; nicht
„Schlag“, wie in der Sekundärliteratur oft zu lesen), das Geminate zeigt und
auf eine Vorform kelt. *slakk-o- zurückgeht, sowie air. sligid
„hauen, schlagen“ < kelt. *slig-e/o- < uridg. *sleĝ- (vgl.
Matasovic 2009: 346 und LIV²: 566f. mit i-Diphthong und wurzelschließendem uridg. *ĝ) muss
aufgegeben werden. Die beiden altirischen Wörter können zudem etymologisch
schwerlich untereinander verbunden werden.
Die germanischen Verben zeigen eine Denonationsbreite,
die von der Handlung des Schlagens bis zu dem damit verbundenen Geräusch reicht
(ähnlich z.B. klatschen neben abklatschen „sich gegenseitig mit den
Händen klatschend berühren“). Es dürfte sich um eine ursprünglich
onomatopoetische Wurzel handeln.
Literatur:
De Vaan, Michiel 2008: Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages. Leiden, Boston: Brill. (Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7).
DIL = Dictionary of the Irish Language. Electronic version: http://www.dil.ie/.
DTA = www.deutschestextarchiv.de
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Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm 1854–1954: Deutsches Wörterbuch.
Bd. 1–16 (und Quellenverzeichnis, 1971). Leipzig: Hirzel. (Nachdruck
der Erstausgabe 1999: Bd. 1–33) München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.
Auch als CD-ROM 2004: Der digitale Grimm. Frankfurt am Main:
Zweitausendeins. Auch unter: www.woerterbuchnetz.de.
Kloekhorst, Alwin 2008: Etymological Dictionary of the Hittite Inherited Lexicon. Leiden: Brill.
EWD = Kluge, Friedrich 2011: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Begr. Friedrich Kluge, Bearb. Elmar Seebold. 25., durchges. und erw. Auflage. Berlin u.a.: de Gruyter.
Köbler AhdWb = Köbler, Gerhard: Althochdeutsches Wörterbuch, 4 Auflage,
online uter http://www.koeblergerhard.de/ahdwbhin.html.
Kroonen, Guus 2013: Etymological Dictionary of Proto-Germanic, Leiden-Boston: Brill.
EWA = Lloyd, Albert L./Lühr, Rosemarie 1988–: Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. 1–. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Matasović, Ranko 2009: Etymological Dictionary of Proto-Celtic. Leiden & Boston: Brill.
Mayrhofer, Manfred 1992–2001: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. 3 Bde. Heidelberg: Winter.
BMZ = Mittelhochdeutsches Wörterbuch.
Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet
von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866.
Online auch unter http://woerterbuchnetz.de/BMZ/
Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878.
Pfeifer, Wolfgang (Hg.) 1993: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2 Bde. 2., durchges. u. erg. Aufl. Berlin: Akad. Verl.
LIV = Rix, Helmut/Kümmel, Martin 2001: Lexikon der indogermanischen Verben: LIV; die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen.
Unter Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb.
von Martin Kümmel, Thomas Zehnder, Reiner Lipp, Brigitte Schirmer. 2.,
erw. und verb. Aufl., bearb. von Martin Kümmel und Helmut Rix.
Wiesbaden: Reichert.
Schwabenspiegel: http://www.opera-platonis.de/Capitulum1-148.htm
Autorin: Sabine Ziegler